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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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ersten Kuß, als David, wie der Zufall es wollte, plötzlich, kaum daß sie sein Klopfen gehört hatten, im Zimmer stand. Ginnie hatte nicht mit der Wimper gezuckt.
    Sie war offenbar eine geborene Schauspielerin und hielt ihre Rolle auch jetzt unbeirrt durch. »Du weißt genau, daß das gelogen ist«, sagte Penn.
    »Und daß Sie zu ihr sagten, Sie würden ihren Mann gern los sein, ist das auch gelogen?« fragte Mac.
    »Mrs. Ostrander hat das gesagt, nicht ich!« Penn spürte, wie seine Knie weich wurden. »Darum habe ich ja gekündigt. Ich wollte mich nicht in eine Ehe einmischen, die…«
    Die umstehenden Polizisten lächelten.
    »Mein Mann und ich, wir haben uns geliebt.«
    Dann senkte Ginnie den Kopf und ließ ihren Tränen freien Lauf. Den, wie es schien, aufrichtigsten Tränen von der Welt.
    Penn wandte sich an Mac. »Na schön, sperren Sie mich meinetwegen ein. Ich will gern bleiben, bis David Ostrander wieder auftaucht – denn ich verwette meinen Kopf darauf, daß er nicht tot ist.«
    Penn preßte die Handflächen gegen die kühle Zellen-wand. Er wußte, daß Ginnie das Revier verlassen hatte, aber das war auch das einzige, was von der Außenwelt zu ihm durchgedrungen war.
    307
    Komisches Mädchen, diese Ginnie. Offenbar war sie doch verrückt nach David. Sicher bewunderte sie sein Talent, seine Disziplin und liebte ihn dafür, daß er sie so gern hatte. Denn was war sie schon? Ein hübsches Mädchen, das als Schauspielerin den Durchbruch nicht geschafft hatte (bis jetzt) und das, während ihr Mann zwölf Stunden pro Tag arbeitete, so wenig mit sich anzufangen wußte, daß sie sich darauf verlegt hatte, den Sekretär ihres Mannes zu becircen. Penn erinnerte sich, daß Ginnie ihm erzählt hatte, ihr Chauffeur habe vor fünf Monaten gekündigt. David hatte keinen neuen mehr eingestellt. Ob der Chauffeur aus dem gleichen Grund gekündigt hatte wie er? Oder hatte David ihn rausgeschmissen? Penn war jetzt mißtrauisch gegen alles, was er je von Ginnie erfahren hatte.
    Irgendwann tat sich eine noch alptraumhaftere Vorstellung vor ihm auf: Angenommen, Ginnie liebte David wirklich nicht und sie hatte auf dem Weg nach Croydon bei der Hütte gehalten, hatte David dort angetroffen und ihn erschossen? Oder was, wenn sie ihn draußen aufgespürt hätte, in den Wäldern? Hatte sie ihn erschossen und es so eingerichtet, daß man ihn erst später finden und der Verdacht auf ihn fallen würde? Damit sie nicht nur David los wurde, sondern ihn gleich mit? Gab es überhaupt eine Waffe in Stonebridge, die Ginnie mitgebracht haben könnte?
    Haßte Ginnie ihren Mann, oder liebte sie ihn? Von dieser ungeheuerlichen Frage hing vielleicht seine ganze Zukunft ab, denn wenn Ginnie David getötet hatte … Aber wie paßte Davids mutwilliges Verschwinden von gestern abend in dieses Szenario?
    308
    Penn hörte Schritte und stand auf.
    Mac blieb vor seiner Zelle stehen. »Was ist los, Knowlton, haben Sie uns die Wahrheit gesagt?« fragte er zweifelnd.
    »Ja.«
    »Na schön, dann müssen Sie ja schlimmstenfalls bloß die paar Tage absitzen, bis Ostrander wieder auftaucht.«
    »Ich hoffe doch, Sie suchen ihn.«
    »Und ob, im ganzen Staat und wenn's sein muß auch über die Grenzen hinaus.« Er wandte sich zum Gehen, kehrte aber noch einmal um.
    »Ich könnte Ihnen 'ne stärkere Birne besorgen und was zum Lesen, sofern Ihnen nach Lesen ist.«
    Bis zum nächsten Morgen ergab sich nichts Neues.
    Doch gegen vier Uhr nachmittags kam ein Polizist und schloß Penns Zelle auf.
    »Was gibt's?« fragte Penn.
    »Ostrander ist in seinem Haus in Stonebridge aufge-taucht«, sagte der Mann mit dem Anflug eines Lächelns.
    Auch Penn lächelte zaghaft, als er dem Beamten ins Wachlokal folgte.
    Mac nickte ihm grüßend zu. »Wir haben gerade bei den Ostranders angerufen. Mr. Ostrander ist vor einer halben Stunde heimgekommen. Angeblich hat er die Einsamkeit gesucht, um in Ruhe nachzudenken, und versteht nicht, was das ganze Tamtam um sein Verschwinden soll.«
    Penns Hand zitterte, als er seinen Entlassungsschein ge-genzeichnete. Ihm graute vor der Rückkehr in die Hütte, 309
    wo er seine Sachen abholen mußte, und mehr noch vor den unvermeidlichen Minuten in Stonebridge, die er brauchen würde, um seine restliche Habe zusammenzupacken.
    Davids Kabrio stand immer noch da, wo er es gestern geparkt hatte. Er stieg ein und fuhr zur Hütte. Dort packte er seinen Koffer und wollte zunächst auch das
    Tonbandgerät mitnehmen. Doch dann überlegte er es sich anders

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