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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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eingesehen, daß er lernen mußte, mit seiner Liebe zu Phyl zu leben. Auch wenn bis heute kein Monat, keine Woche verging, ohne daß er an sie dachte, davon träumte, mit ihr zusammenzusein – im Bett und auch sonst, nur mit ihr zu sein. Dabei war er längst verheiratet, die neuen Bande waren äußerlich fest verknüpft, durch seinen Sohn Bernard leibhaftig bezeugt und so echt und greifbar wie die häßliche braune Resopaltheke unter seinen Händen oder wie ein Geschoß, das seine Stirn hätte durchschlagen und ihn töten können.
    Hoffentlich setzte man ihn auf dem siebenstündigen Flug nach Paris nicht neben das Mädchen. Wenn doch, würde er unter irgendeinem Vorwand um einen anderen Platz bitten. Aber bei annähernd zweihundert Passagieren war ein solcher Zufall eher unwahrscheinlich.
    Zwanzig Minuten später jagten sie mit atemberauben-dem Schub über die Startbahn, und dann erlebte Jeff den herrlich befreienden Augenblick, wenn die Maschine ab-hebt, sich, alle Erdenschwere hinter sich lassend, in die Lüfte schraubt und das Dröhnen der Motoren langsam schwächer wird. Jeff hatte zur Linken ein Fenster mit Blick auf eine graue Tragfläche und zur Rechten eine mollige Frau mit dem schleppenden Akzent des Mittelwestens. Der Mann daneben war vermutlich ihr Ehemann. Das Mädchen konnte Jeff von seinem Platz aus nicht sehen, und zuvor, beim Einsteigen, hatte er es bewußt vermieden, nach ihr Ausschau zu halten.
    Jeff löste den Sicherheitsgurt und zündete sich eine Zigarette an. Eine Stewardeß arbeitete sich langsam mit ihrem Getränkewagen durch den Gang, und als sie auf 320
    seiner Höhe war, bestellte Jeff einen Scotch mit Eis. Später kam das Essen. Dann dämmerte es langsam, während sie, immer mit der Erdumdrehung, ihrem Ziel entgegenflogen.
    Am Kopfende des Mittelgangs wurde eine Filmleinwand hochgezogen. Jeff hatte sich keine Kopfhörer geben lassen.
    Er wollte, wenn möglich, ein Weilchen schlafen. Er klappte seine Rückenlehne zurück, lockerte die Krawatte und schloß die Augen.
    Vielleicht, dachte Jeff, würde es gar nicht so schwer sein, diesen Kyrogin rumzukriegen. Letzte Woche am Telefon hatte er immerhin Sinn für Humor bewiesen. »In unseren Meeren fließt kein Wodka«, hatte er mit stark akzentgefärbter Baritonstimme verkündet. Was heißen sollte, daß es kein Vergnügen sei, im Winter oder zu einer anderen Jahreszeit ins Weiße Meer zu stürzen – eine Spitze gegen die Sicherheitsvorschriften bei Ander-Mack. Jeffs Firma mied gewerkschaftlich organisierte Partner. Wenn es gefährlich wurde, heuerten sie lieber auf eigene Faust ungelernte Arbeiter zu Spitzenlöhnen an. Gewerkschaften standen auch bei den Russen nicht hoch im Kurs, ebensowenig wie die Achtung vor Leib und Leben, also machte Jeff sich diesbezüglich keine Sorgen. Wenn es ihm nur gelang, Kyrogin den Vertrag zu zeigen, dann wäre der Handel so gut wie beschlossen. Was Jeff vorschwebte, war ein Team aus russischen Handlangern, angeleitet von ein paar Schotten und Engländern, die aus den britischen Ölförder-programmen in der Nordsee ausgestiegen waren. Knall-harte Burschen waren das, die allerhand abkriegten, manchmal sogar draufgingen; etlichen wurde es zu eintö-
    nig, viele sprangen wieder ab. Aber keiner konnte leugnen, 321
    daß sie gutes Geld verdienten. Und das war's, was für diese Leute zählte, wie bei den Russen der Zeitfaktor.
    Am Ende, dachte Jeff, der den Blick durch den schwach erleuchteten Mittelgang schweifen ließ, am Ende war vielleicht der Bevollmächtigte einer Konkurrenzfirma mit an Bord. Nachprüfen konnte er das nicht, weil er nicht wußte, nach was für einem Mann oder auch nur nach welchem Typus er sich hätte umsehen sollen: jung oder alt, konservativ oder… das Gegenteil – der Mann würde in jedem Fall die gleichen Papiere bei sich tragen wie er und die gleichen Hoffnungen hegen. Jeff kuschelte sich tiefer in seinen Sitz, versuchte, sich zu entspannen und ein wenig zu schlafen.
    Du hast überhaupt keine Zeit mehr für mich…
    Mit einem Ruck setzte Jeff sich auf. Durch das leise Brummen der Triebwerke war auf einmal Phyls Stimme an sein Ohr gedrungen. Er rieb sich die Augen, forcierte ein Gähnen und lehnte sich wieder zurück. Er verschränkte die Hände über der Taille und wollte eben die Augen schließen, als das Mädchen, das aussah wie Phyl, vom Cockpit her auf ihn zukam. Sie war jetzt ohne Mantel, in dunklem Rock und pastellfarbener Bluse. Gleich wird sie stehenbleiben und mich ansprechen,

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