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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Highsmith
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Reporter hatte schon aufgelegt.
    Mr. McKenny verbrachte die Viertelstunde damit, daß er seine Eineinhalbzimmer-Junggesellenwohnung aufzuräumen versuchte und gleichzeitig überlegte, ob er nicht am besten weglaufen und einfach nicht dasein solle, wenn der Reporter kam. Sollte er die elf Sittiche, die er hatte, verstecken? Er konnte die vier Käfige in den Schrank stellen und zudecken, so daß die Vögel still waren. Oder sollte er sie kühn zur Schau stellen und sagen, daß er seit Jahren Sittichliebhaber war? Zwei Minuten vor dem erwarteten Besuch des Reporters entschied Mr. McKenny sich für ersteren Kurs. Er setzte die Käfige auf dem Boden seines Schranks auf Schuhe und ein schmutziges Hemd und schloß die Schranktür. Er fragte sich, ob der Reporter während des Telefongesprächs Sittiche im Hintergrund gehört haben konnte. Es blieb ihm nur zu hoffen, daß es nicht der Fall war.
    Es klingelte.
    Nach einem letzten Blick in die Runde und einem Zup-fen an seiner Weste ging Mr. McKenny tapfer in seine Kochnische und drückte den Knopf für den Türöffner. Er hörte schnelle, jugendliche Schritte auf den zwei Treppen-absätzen und dann Klopfen. Mr. McKenny öffnete die Tür.
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    »Guten Morgen! Mr. McKenny?« Der junge Mann
    lächelte. Er hielt ein Schreibbrett und einen Stift in der Hand und hatte eine Kamera umhängen.
    »Ja«, sagte Mr. McKenny. »Wollen Sie nicht reinkommen?«
    »Danke. Ist der Vogel durch dieses Fenster hereingeflogen?«
    »Nein. Durch das da«, sagte Mr. McKenny und deutete hin.
    Die Fragen folgten schnell aufeinander. Wie lange hatte er gebraucht, um den Vogel auf seinen Finger zu locken?
    Hatte er gleich in der Zeitung nachgeschaut, ob ein Wellensittich vermißt wurde?
    Mr. McKenny erzählte seine Geschichte mit sparsamen Worten und voller Bescheidenheit. »So etwas passiert eben hin und wieder in einer Großstadt wie New York. Wohin soll ein Sittich schon fliegen außer in ein geöffnetes Fenster? Es sind zutrauliche kleine Vögel, und sie werden schnell hungrig. Sie suchen sich entweder ein offenes Fenster aus oder fliegen gleich in ein Restaurant.« Mr.
    McKenny lachte kurz.
    »Aber Sie haben Mrs. Van der Maur sehr glücklich gemacht, Mr. McKenny. Viele Leute hätten den Vogel behalten und sich nicht die Mühe gemacht, ihn dem Besitzer zurückzubringen. Mrs. Van der Maur rief gestern abend an, um ihre Vermißtenanzeige zu stornieren, und sie hat es sich nicht nehmen lassen, uns zu erzählen, wie sehr sie sich über das prompte Ergebnis gefreut hat. Ich habe sie heute morgen besucht, den Vogel geknipst und so weiter. Sie war 132
    richtig glücklich, ihn wieder bei sich zu haben. Wie war's mit einem Bild von Ihnen hier am Fenster, wo Sie ihn eingefangen haben?«
    »Ich bin ein bißchen kamerascheu«, sagte Mr.
    McKenny.
    »Ach, kommen Sie! Nur ein kleines Foto für unseren Lokalteil.«
    Widerstrebend setzte sich Mr. McKenny auf den Stuhl mit gerader Lehne, den der Reporter zum Fenster gezogen hatte.
    »Jetzt strecken Sie den Finger aus, wie Sie es für den Vogel getan haben, und sehen Sie mich an, als würden Sie mit mir sprechen. Erzählen Sie mir noch mal, wie es war.«
    »Ich war – der Vogel saß hier auf der Ziegelbrüstung –«
    Klick!
    Mr. McKenny wollte aufstehen.
    »Nur noch ein Bild, bitte, für den Fall, daß das erste nichts wird.«
    »… auf der Brüstung, als ich –«
    Klick!
    »Vielen Dank, Sir. Kennen Sie sich mit Wellensittichen gut aus? Haben Sie selbst welche?«
    »Nein«, sagte Mr. McKenny. »Früher ja. Jetzt nicht mehr. Ich meine, Wellensittiche. Ich nehme an, daß ich ihn deshalb dazu bringen konnte, in das Zimmer zu kommen.«
    »Hmm. Darf ich Sie fragen, was Sie beruflich tun, womit Sie Ihr Geld verdienen?«
    »Ich bin im Ruhestand. Ich war Bauingenieur. Jetzt be-133
    ziehe ich eine kleine Rente.«
    »Verstehe«, sagte der junge Mann schreibend. Dann fiel sein Blick auf eine Reihe Vogelfutterkartons auf einem Wandregal. Außerdem gab es Blackfischbein und Kinder-spielzeug aus Plastik – ein kleines Schaukelpferd und einen Clown mit rundem Unterteil, der immer wieder
    zurückwippte, wie man ihn auch umwarf. Der Reporter trat näher hin. »Das haben Sie alles für den Wellensittich gekauft?«
    »Nun – ja«, sagte Mr. McKenny. »Ich wollte nichts falsch machen. Die ersten Körner, die ich ihm gegeben habe, hat er nicht gefressen.«
    »Sie sind ein sehr netter Mann, Mr. McKenny. Und Sie hatten den Vogel nur etwa drei Stunden, nicht wahr? Von zwei Uhr, als er

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