Die Augen der Ueberwelt
für uns eine ernste Sache, und die Wahl eines neuen Wächters wird öffentlich besprochen. Ah seht, hier ist unser Schatzhaus. Hättet Ihr Lust, einen Blick hineinzuwerfen?«
»Mit Vergnügen. Wenn Ihr das Gemeindegold inspizieren wollt, begleite ich Euch gern.«
Der Hetman öffnete die Tür. »Hier ist weit mehr als Gold! Jene Truhe ist mit Edelsteinen gefüllt; diese dort mit alten Münzen; das sind Ballen feinster Seide und bestickten Damasts. Die Laden dieses Schrankes enthalten seltene Gewürze, die Regale köstliche Liköre und die Fässer gut abgelagerten Branntwein. Unschätzbare Werte sind hier aufbewahrt. Aber vielleicht findet Ihr meinen Stolz übertrieben, da Ihr auf Euren Reisen sicher weit mehr Reichtum gesehen habt.«
Cugel versicherte ihm, daß sein Stolz durchaus berechtigt sei. Der Hetman verneigte sich geschmeichelt. Sie spazierten weiter zur Uferpromenade und blickten über die dunkle Fläche des Sees, auf dem sich nur vereinzelte Sterne spiegelten.
Der Hetman deutete nach einer Weile auf einen Kuppelbau, der von einer etwa fünfhundert Fuß hohen, schmalen Säule getragen wurde. »Könnt Ihr den Zweck dieses Bauwerks erraten?«
»Ist es der Turm des Wächters?« entgegnete Cugel.
»Richtig geraten. Ihr seid ein kluger Mann. Wie bedauerlich, daß Ihr es so eilig habt und nicht in Vull bleiben könnt.«
Cugel, der an seinen leeren Säckel dachte und an die Reichtümer im Schatzhaus, machte eine bedauernde Geste. »Ich wäre nicht abgeneigt zu bleiben, aber, um offen zu sein, ich bin ein armer Reisender und wäre gezwungen, mir einen lohnenden Posten zu suchen. Ich dachte schon an den des Wächters, der, wie ich hörte, einer von hohem Ansehen sein soll.«
»Ihr habt recht gehört. Mein eigener Sohn hält heute nacht Wache. Aber es gibt keinen Grund, weshalb Ihr nicht in Frage kommen solltet. Die Arbeit ist keineswegs anstrengend und recht einträglich.«
Cugel wurde sich Firxens Unruhe bewußt. »Wie sieht es mit der Vergütung aus?«
»Ausgezeichnet! Der Wächter genießt hohes Ansehen hier in Vull, denn er beschützt uns alle vor Gefahr, wenn auch nur rein formal.«
»Die Vergütung, wie sieht sie im einzelnen aus?«
Der Hetman überlegte, dann zählte er an den Fingern ab. »Nun, als erstes erhält er einen gemütlichen Wachtturm mit weichen Kissen, einem Fernrohr und einem Kohlenbecken, das ihm Wärme spendet und als Signalgerät verwendet werden kann. Zweitens bekommt er Speisen und Getränke erster Güte, selbstverständlich ohne Berechnung, ganz nach seinem Wunsch. Drittens wird ihm der zusätzliche Titel ›Wächter des Schatzhauses‹ verliehen, und zur Vereinfachung bekommt er außer dem Titel auch die volle Verfügungsgewalt über den Gesamtbesitz der Stadt. Viertens darf er unter den schönsten Maiden seine Gattin erwählen. Fünftens steht ihm der Titel ›Baron‹ zu, und er muß von allen mit größter Hochachtung gegrüßt werden.«
»Wahrhaftig, dieser Posten verdient, in Erwägung gezogen zu werden. Welche Verantwortlichkeiten sind mit ihm verbunden?«
»Wie der Name schon sagt, muß der Wächter Wache halten, denn dies ist einer der altmodischen Bräuche, die wir einhalten. Die Pflichten sind nicht beschwerlich, aber sie dürfen nicht vernachlässigt werden, denn das würde bedeuten, daß man sie für unnötig hält. Wir aber sind ernsthafte Leute, selbst wenn es um altmodische Sitten und Gebräuche geht.«
Cugel nicke verständnisvoll. »Die Bedingungen sind klar. Der Wächter wacht. Was könnte deutlicher ausgedrückt werden? Aber wer ist Magnatz? Aus welcher Richtung könnte er erwartet und wie vermag er erkannt zu werden?«
»Diese Fragen sind im Grund genommen überflüssig«, entgegnete der Hetman, »da es diese Kreatur offenbar nicht gibt.«
Cugel schaute zum Turm hoch, über den See und zum Schatzhaus. »Ich bewerbe mich hiermit um den Posten, vorausgesetzt, alles ist, wie Ihr aufgeführt habt.«
Sofort stach und zwickte Firx auf Cugels Eingeweide ein. Cugel krümmte sich vor Schmerzen, preßte die Hände auf den Bauch. Mühsam richtete er sich auf, entschuldigte sich bei dem bestürzten Hetman und machte ein paar Schritte zur Seite. »Geduld!« flehte er Firx an. »Mäßige dich! Hast du denn kein Gefühl für die Wirklichkeit? Mein Beutel ist leer, und vor uns liegen noch viele Meilen. Will ich schneller vorankommen, muß ich wieder zu Kräften kommen und mein Säckel füllen. Ich beabsichtige, dieses Amt nur solange zu übernehmen, bis beides
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