Die Augen des Drachen - Roman
seine Frage, und Dennis entspannte sich. Sie ergab keinerlei Sinn für ihn - es war lediglich weiterer Unsinn wegen der Servietten, wie er fand -, aber immerhin kannte er die Antwort, und gab sie Peyna.
»Bist du dir sicher?«, beharrte Peyna.
»Ja, mein Lord.«
»Gut. Dann sollst du Folgendes tun.«
Peyna redete lange auf Dennis ein, während die drei im kalten Sonnenschein vor der »Ruhestandshütte« standen, die der Richter nie mehr betreten würde. Dennis hörte aufmerksam zu, und als Peyna verlangte, dass er die Anweisungen wiederholte, tat er dies fehlerlos.
»Gut«, sagte Peyna. »Sehr gut.«
»Es freut mich, dass ich Euch eine Freude machen konnte, Sir.«
»Nichts an dieser Sache macht mir Freude, Dennis. Überhaupt nichts. Wenn Ben Staad sich bei den unglücklichen Gesetzlosen in den Weiten Wäldern befindet, dann schicke ich ihn aus der relativen Sicherheit in die Gefahr, weil er König Peter hilfreich sein könnte. Ich schicke dich ins Schloss zurück, weil mein Herz mir sagt, dass irgendetwas an der Sache mit den Servietten
dran ist … und an dem Puppenhaus, das er haben wollte … irgendetwas. Manchmal scheint es zum Greifen nahe zu sein, aber dann verschwindet es wieder. Er hat nicht einfach aus einer Laune heraus um diese Dinge gebeten, Dennis. Darauf wette ich mein Leben. Aber ich weiß es nicht.« Plötzlich schlug Peyna sich in hilfloser Frustration mit der Faust auf den Schenkel. »Ich bringe zwei anständige junge Männer in große Gefahr, und mein Herz sagt mir, dass ich richtig handle, aber ich … weiß … nicht … WARUM! «
Und im Inneren des Mannes, der einst einen Jungen in seinem Herzen verdammt hatte, weil er weinte, da lachte der Fremde und lachte und lachte.
88
Die beiden alten Männer verabschiedeten sich von Dennis. Sie schüttelten einander reihum die Hände; dann küsste Dennis den Ring des Richters, der das Große Wappen von Delain trug. Peyna hatte das Amt des Obersten Richters abgegeben, aber von dem Ring hatte er sich nicht trennen können, da er für ihn alles verkörperte, was an dem Gesetz gut war. Er wusste, er hatte von Zeit zu Zeit Fehler gemacht, aber er hatte nicht zugelassen, dass sie sein Herz brachen. Auch über seinen letzten und größten Fehler brach sein Herz nicht. Er wusste so gut wie wir in unserer Welt, dass der Weg zur Hölle mit guten Absichten gepflastert ist - aber er wusste auch, dass es für einen Menschen manchmal nicht mehr geben kann als gute Absichten. Engel mögen vor der Verdammnis sicher sein, aber Menschen sind weniger glückliche Geschöpfe, für sie ist die Hölle immer in Reichweite.
Er protestierte dagegen, dass Dennis den Ring küsste, aber Dennis bestand darauf. Dann schüttelte Arlen Dennis die Hand und wünschte ihm den Beistand der Götter auf seiner Reise. Dennis wünschte ihnen lächelnd dasselbe (aber Peyna konnte die Angst in Dennis’ Augen noch lesen). Dann wandte sich der junge Diener nach Osten, zum Schloss, und die beiden alten Männer gingen nach Westen, zum Bauernhof eines Charles Reechul. Reechul, der sich seinen Lebensunterhalt mit der Zucht
anduanischer Schlittenhunde verdiente, zahlte die erdrückenden Steuern, die der König auferlegt hatte, ohne zu murren, und wurde daher als loyal angesehen … aber Peyna wusste, dass Reechul mit den Verbannten sympathisierte, die in den Weiten Wäldern ihr Lager aufgeschlagen hatten, und dass er anderen half, zu ihnen zu gelangen. Peyna hatte nie gedacht, einmal selbst Reechuls Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, aber nun war der Zeitpunkt gekommen.
Die älteste Tochter des Züchters, Naomi, fuhr Peyna und Arlen mit einem Schlitten nach Norden, welcher von zwölf der kräftigsten Hunde des Züchters gezogen wurde. Mittwochabend erreichten sie den Rand der Weiten Wälder.
»Wie weit ist es noch bis zum Lager der Verbannten?«, fragte Peyna Naomi in dieser Nacht.
Naomi warf die dünne, übel riechende Zigarre, die sie geraucht hatte, ins Feuer. »Noch zwei Tage, wenn der Himmel klar bleibt. Vier Tage, wenn es schneit. Wenn ein Schneesturm kommt, vielleicht ewig.«
Peyna legte sich schlafen. Er schlief fast auf der Stelle ein. Logisch oder unlogisch, er schlief besser als seit Jahren.
Am nächsten Tag blieb das Wetter klar und am Freitag auch. In der Abenddämmerung dieses Tages - des vierten, seit Peyna und Arlen sich von Dennis getrennt hatten - erreichten sie die kleine Ansammlung von Zelten und behelfsmäßigen Holzhütten, nach denen Flagg vergebens gesucht
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