Die Augen des Drachen - Roman
wenn du einen Weg findest, es unbemerkt zu betreten. Es wäre schlecht, wenn du bemerkt würdest. Für einen Jungen, der krank zu Hause liegen sollte, siehst du viel zu gesund aus.«
Der Tag war hell und kalt. Der Schnee auf den langen sanften Hügeln der Inneren Baronien reflektierte das Licht mit einem diamantenen Glanz, der bald die Augen tränen ließ.
Bis zum Mittag werde ich wahrscheinlich schneeblind sein, und das geschieht mir recht, dachte Peyna verdrossen. Der Fremde in ihm schien das zum Totlachen zu finden.
Schloss Delain selbst war in der Ferne zu sehen, blau und verträumt am Horizont, die Türme und Zinnen sahen wie eine Zeichnung in einem Märchenbuch aus. Dennis jedoch sah durchaus nicht wie ein jugendlicher Held auf Abenteuersuche aus. Seine Augen waren voller Furcht, sein Gesicht hatte den Ausdruck eines Mannes, der aus einer Löwengrube entkommen ist und dem man nun gesagt hat, er habe sein Mittagessen darin vergessen
und er müsse zurück, um es zu holen, obwohl er keinen Hunger mehr hat.
»Es könnte einen Weg hinein geben«, sagte er. »Aber wenn er mich riecht, dann wird es einerlei sein, wie ich hineingelangt bin und wo ich mich verstecke. Wenn er mich wittert, wird er mir den Garaus machen.«
Peyna nickte. Er wollte die Angst des Jungen nicht schüren, aber in ihrer Situation konnte ihnen nur die reine Wahrheit etwas nutzen. »Was du sagst, stimmt.«
»Dennoch verlangt Ihr von mir zu gehen?«
»Wenn du kannst, verlange ich es noch immer.«
Bei einem kargen Frühstück hatte Peyna Dennis gesagt, was er wissen wollte, und er hatte verschiedene Möglichkeiten vorgeschlagen, wie Dennis an die gewünschten Informationen herankommen konnte. Nun schüttelte Dennis den Kopf, nicht ablehnend, sondern verwirrt.
»Servietten«, sagte er.
Peyna nickte. »Servietten.«
Dennis’ angstgeweitete Augen sahen wieder zu dem fernen Märchenschloss, das am Horizont träumte. »Als er starb, sagte mein Vater, sollte ich je die Möglichkeit bekommen, meinem ersten Herrn einen Dienst zu erweisen, müsste ich es tun. Ich glaubte, das hätte ich getan, indem ich hierher kam. Aber wenn ich zurückkehren muss …«
Arlen, der inzwischen das Haus abreisefertig gemacht hatte, gesellte sich nun zu ihnen.
»Deinen Hausschlüssel, bitte, Arlen«, sagte Peyna.
Arlen gab ihn ihm, und Peyna gab ihn Dennis.
»Arlen und ich gehen nach Norden, um uns den …« Peyna zögerte, dann räusperte er sich. »…den Verbannten
anzuschließen«, fuhr er fort. »Ich gebe dir Arlens Hausschlüssel. Wenn wir das Lager erreicht haben, gebe ich meinen einem jungen Mann, den du kennst, wenn er dort ist, was ich annehme.«
»Wer ist das?«, fragte Dennis.
»Ben Staad.«
Dennis’ düsteres Gesicht hellte sich auf. »Ben? Ben ist bei ihnen?«
»Ich halte es für möglich«, sagte Peyna. In Wahrheit wusste er genau, dass die ganze Familie Staad bei den Verbannten war. Er hielt das Ohr fest am Boden, und seine Ohren waren noch nicht so taub geworden, dass er die Bewegungen im Königreich nicht mehr hörte.
»Und Ihr werdet ihn hierher schicken?«
»Wenn er kommen will, ja, das habe ich vor«, antwortete Peyna.
»Um was zu tun? Mein Lord, das ist mir immer noch nicht klar.«
»Mir auch nicht«, sagte Peyna, der etwas verärgert aussah. Aber er war mehr als verärgert; er war verwirrt. »Ich habe mein ganzes Leben Dinge getan, weil sie logisch waren, und andere nicht, weil sie es nicht waren. Ich habe gesehen, was passieren kann, wenn Menschen intuitiv oder aus unlogischen Gründen handeln. Manchmal sind die Folgen lächerlich und peinlich; häufiger jedoch einfach schrecklich. Dennoch stehe ich heute hier und benehme mich wie ein hirnloser Kristallgaffer.«
»Ich verstehe Euch nicht, mein Lord.«
»Ich auch nicht, Dennis. Ich auch nicht. Weißt du, was für einen Tag wir heute haben?«
Dennis blinzelte bei diesem unerwarteten Themawechsel, aber er antwortete rasch. »Ja - Dienstag.«
»Dienstag. Gut. Jetzt werde ich dir eine Frage stellen, und meine verdammte Intuition sagt mir, dass sie sehr wichtig ist. Wenn du die Antwort nicht weißt - auch wenn du dir nicht sicher bist -, dann sag es, um der Götter willen, sag es! Bist du bereit für die Frage?«
»Ja, mein Lord«, sagte Dennis, war aber nicht überzeugt, ob das zutraf. Peynas stechende blaue Augen unter dem weißen Gestrüpp der Brauen machten ihn sehr nervös. Die Frage würde vermutlich wirklich schwierig sein. »Das heißt, ich glaube: ja.«
Peyna stellte
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