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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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hatte.
    »Ho! Wer kommt, und kennt ihr die Parole?«, rief eine Stimme. Es war eine laute Stimme, kräftig, fröhlich und furchtlos. Peyna erkannte sie.

    »Hier ist Naomi Reechul«, rief das Mädchen, »und vor zwei Wochen lautete die Parole ›Tripos‹. Wenn sie inzwischen geändert wurde, Ben Staad, dann durchbohre mich getrost mit einem Pfeil, aber ich werde zurückkehren und bei dir spuken!«
    Ben kam lachend hinter einem Felsen hervor. »Als Geist möchte ich dir nicht gern begegnen, Naomi - lebend bist du schon furchterregend genug!«
    Sie achtete nicht darauf, sondern wandte sich an Peyna. »Wir sind da«, sagte sie.
    »Ja«, sagte Peyna. »Das sehe ich.«
    Und es ist gut, dass wir hier sind … denn etwas sagt mir, dass die Zeit knapp wird … sehr knapp.

89
    Peter hatte dasselbe Gefühl.
    Am Sonntag, zwei Tage nachdem Peyna und Arlen im Lager der Verbannten angekommen waren, reichte sein Seil, nach seinen Berechnungen, immer noch nur bis neun Meter über den Boden. Das bedeutete, wenn er mit ausgestreckten Armen an dessen Ende hing, hatte er immer noch einen Sprung von gut sechseinhalb Metern in die Tiefe vor sich. Er wusste, es wäre viel klüger, noch vier Monate an dem Seil zu arbeiten - vielleicht auch nur zwei. Wenn er das Seil losließ, ungeschickt stürzte und sich beide Beine brach, so dass die Wachen des Platzes ihn bei ihrem stündlichen Rundgang stöhnend auf dem Kopfsteinpflaster fanden, dann hatte er die Arbeit von vier Jahren zunichte gemacht, weil er nicht die Geduld gehabt hatte, nur noch vier Monate zu warten.
    Das war eine Logik, die Peyna geschätzt hätte, aber Peters Gefühl, dass er sich beeilen musste, war viel stärker. Einst hätte Peyna verächtlich über die Vorstellung gelacht, Gefühle könnten vertrauenswürdiger als Logik sein … inzwischen wäre er sich da vielleicht nicht mehr so sicher.
    Peter hatte einen Traum gehabt - seit über einer Woche kehrte er immer wieder und wurde zunehmend deutlicher. Darin sah er Flagg über einen hellen, leuchtenden Gegenstand gebeugt - er tauchte das Gesicht des Magiers in ein kränkliches grüngelbes Licht. In diesem
Traum kam stets der Zeitpunkt, da Flagg zuerst überrascht die Augen aufriss - und sie dann zu tückischen Schlitzen zusammenkniff. Die Brauen senkten sich; die Stirn runzelte sich; sein Mund zog sich verbittert wie ein Halbmond nach unten. In diesem Ausdruck konnte der träumende Peter eines - und nur eines - deutlich lesen: Tod. Flagg sagte nur ein Wort, als er sich nach vorn beugte und auf das hell strahlende Ding blies, das erlosch wie eine Kerze, wenn der Atem des Zauberers es traf. Nur ein Wort, aber das war genug. Das Wort aus Flaggs Mund war Peters Name, den er in einem Tonfall wütenden Begreifens hervorstieß.
    In der Nacht zuvor, Samstagnacht, hatte der Mond einen Feenring um sich herum gehabt. Die Unterwachmänner waren der Überzeugung, dass es bald schneien würde. Als Peter an diesem Nachmittag in den Himmel sah, wusste er, sie hatten recht. Sein Vater hatte Peter beigebracht, das Wetter zu lesen, und während er am Fenster stand, verspürte Peter Trauer … und ein erneutes Aufflackern kalter, stiller Wut … den Wunsch, alles wieder ins rechte Lot zu bringen.
    Ich werde meinen Versuch im Schutze der Dunkelheit und des Sturms wagen, dachte er. Vielleicht ist sogar genügend Schnee da, um meinen Sprung zu mildern. Bei diesem Gedanken musste er grinsen - drei Zoll frischer Pulverschnee zwischen ihm und dem Kopfsteinpflaster würden so oder so verflixt wenig nutzen. Entweder hielt sein gefährlich dünnes Seil … oder es riss. Angenommen, es hielt, dann würde er den Sprung wagen. Und seine Beine würden den Aufprall entweder aushalten … oder nicht.
    Und wenn sie es aushalten, wohin wirst du dann gehen?,
flüsterte eine leise Stimme. Jeder, der dir vielleicht helfen könnte … Ben Staad, zum Beispiel … wurde schon lange aus dem Schloss vertrieben … oder sogar aus dem Königreich, soweit du weißt.
    Er musste also auf sein Glück vertrauen. Das Glück eines Königs. Das war etwas, worüber sein Vater oft gesprochen hatte. Es gibt glückliche und unglückliche Könige. Aber du bist dein eigener König und wirst dein eigenes Glück haben. Ich selbst glaube, dass du viel Glück haben wirst.
    In seinem Herzen war er seit fünf Jahren König von Delain, und er war der Meinung, sein Glück war eines, das die Familie Staad, mit ihrem berühmten Unglück, verstanden hätte. Aber vielleicht würde ihn die heutige

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