Die Augen des Drachen - Roman
hoppeln!«
Sie sahen nicht wie Kaninchen aus, als sie die Ziellinie überquerten, sondern vielmehr wie zwei seltsame verkrüppelte Krähen. Es war wirklich ein Wunder, dass sie nicht stürzten, aber irgendwie schafften sie es. Sie machten drei albern aussehende Sprünge. Der dritte brachte sie über die Ziellinie, wo sie brüllend vor Lachen hinfielen.
»Kaninchen!«, heulte Ben und deutete auf Peter.
»Selber Kaninchen!«, rief Peter und deutete auf Ben.
Sie fielen sich um den Hals, ohne mit Lachen aufzuhören, und dann wurden sie von vielen kräftigen Bauern (darunter Andrew Staad, der das Erlebnis, seinen Sohn und den Prinzen getragen zu haben, niemals vergaß) zu der Stelle getragen, wo Roland ihnen die blauen Siegerschärpen überstreifte. Dann gab er jedem einen derben Kuss auf die Wange und schüttete unter dem Johlen der Menge den restlichen Inhalt seines Kruges über ihre Köpfe. Nicht einmal die ältesten Zuschauer konnten sich daran erinnern, dass jemals ein solches Rennen gelaufen worden war.
Die beiden Jungen verbrachten den Rest des Nachmittags
zusammen, und es wurde bald deutlich, dass sie den Rest ihres Lebens zusammen verbringen könnten. Weil auch ein achtjähriger Junge Pflichten hat (und wenn er eines Tages König sein soll, sind es sogar noch mehr), konnten die beiden nicht so oft zusammen sein, wie sie es wollten, aber sie sahen sich, sooft es ging.
Viele rümpften wegen dieser Freundschaft die Nase und sagten, es zieme sich nicht, dass ein künftiger König ein so herzliches Verhältnis zu einem Jungen habe, der wenig mehr als ein gewöhnlicher Baronie-Bauernlümmel war. Aber die meisten sahen es beifällig; mehr als einmal wurde in den Gaststätten von Delain über tiefen Humpen gemurmelt, dass Peter das Beste von beiden Vorfahren geerbt hatte - den Verstand seiner Mutter und seines Vaters Liebe zum gewöhnlichen Volk.
Peter hatte kein bisschen Bosheit in sich. Er machte niemals eine Phase durch, in der er Fliegen die Flügel ausriss oder Hunden die Schwänze ansengte, um sie davonrennen zu sehen. Tatsächlich rettete er sogar einem Pferd das Leben, welches Yosef, der Stallmeister des Königs, töten sollte … und als diese Geschichte Flagg berichtet wurde, da begann er den ältesten Sohn des Königs zu fürchten und überlegte, dass er vielleicht nicht mehr so viel Zeit hatte, den Jungen aus dem Weg zu räumen, wie er geglaubt hatte. Denn im Fall des Pferdes mit dem gebrochenen Bein hatte Peter Mut und eine Entschlossenheit gezeigt, die Flagg ganz und gar nicht gefielen.
14
Peter ging durch das Gelände der Stallungen, als er ein Pferd sah, welches am Zaun direkt vor dem Hauptgebäude angebunden war. Das Pferd hielt ein Hinterbein über dem Boden. Vor Peters Augen spuckte Yosef in die Hände und hob einen schweren Hammer. Es war eindeutig, was er damit vorhatte. Peter war ängstlich und abgestoßen zugleich. Er eilte hinüber.
»Wer hat dir den Befehl gegeben, dieses Pferd zu töten?«, fragte er.
Yosef, ein kräftiger und robuster Mann von sechzig, war eine Art Palastinstitution. Er war nicht der Typ, der sich von einem rotznasigen Balg etwas vorschreiben ließ, Prinz oder nicht. Er bedachte Peter mit einem finsteren, galligen Blick, der den Jungen in die Schranken verweisen sollte. Peter, der gerade neun Jahre alt war, errötete, gab aber nicht nach. Er schien einen Ausdruck in den samtenen braunen Augen des Pferdes zu sehen, der besagte: Du bist meine einzige Hoffnung, wer immer du auch bist. Bitte tu alles, was du kannst.
»Mein Vater, und dessen Vater, und dessen Vater zuvor«, sagte Yosef, der nun einsah, dass er irgendetwas sagen musste, ob es ihm gefiel oder nicht. »Die haben es mir gesagt. Ein Pferd mit gebrochenem Bein nutzt keinem etwas, am allerwenigsten sich selbst.« Er hob den Hammer ein wenig. »Du betrachtest diesen Hammer als Mordwaffe, aber wenn du älter bist, wirst du
das in ihm sehen, was er tatsächlich ist … eine Gnade. Und nun tritt zurück, damit du dich nicht besudelst.«
Er hob den Hammer mit beiden Händen.
»Leg ihn weg«, sagte Peter.
Yosef war wie vom Donner gerührt. Noch niemals hatte sich jemand so in seine Angelegenheiten eingemischt.
»Aber! Aber! Was hast du gesagt?«
»Du hast genau verstanden. Ich sagte, leg den Hammer weg.« Als er diese Worte sprach, wurde Peters Stimme tiefer. Plötzlich wurde Yosef klar - wirklich, wirklich klar -, dass es der zukünftige König war, der hier in den staubigen Stallungen stand und ihm einen
Weitere Kostenlose Bücher