Die Augen des Drachen - Roman
erfüllte Dennis’ Herz. Der Schatten kam auf ihn zu. Dennis hob erschrocken wieder den Dolch.
»Warte! Hast du ein Licht?«
»Feuerstein und Stahl, ja!«
»Anzünden?«
»Jawohl.«
Einen Augenblick später erfüllte der gelbe Schein einer Flamme die Dunkelheit, was in diesem Raum voller trockener Baumwollservietten sicher gefährlich war.
»Komm näher, Ben«, sagte Dennis und steckte den erbärmlichen Abklatsch eines Dolches weg. Er stand auf und zitterte vor Glück und Erleichterung. Ben war hier.
Durch welchen Zauber, das wusste Dennis nicht - nur dass er es irgendwie fertiggebracht hatte. Sein Fuß verfing sich in den Servietten, und er stolperte nach vorn, aber es bestand keine Gefahr, dass er fiel, denn Bens kräftige Arme schlangen sich um ihn. Ben war hier, und alles wird gut werden, dachte Dennis, und es erforderte seine ganze Anstrengung, dass er nicht in äußerst unmännliche Tränen ausbrach.
107
Es wurden viele Geschichten ausgetauscht - ich glaube, ihr habt die meisten davon schon gehört, und diejenigen, die ihr noch nicht kennt, sind schnell erzählt.
Friskys Sprung ging genau ins Schwarze. Sie landete direkt in dem Rohr und drehte sich dann um, ob Naomi und Ben ihr folgten.
Hätten sie es nicht getan, wäre Frisky schließlich wieder auf das Eis gesprungen - sie wäre zwar sehr enttäuscht gewesen, aber ihre Herrin hätte sie nicht für den aufregendsten Geruch der Welt im Stich gelassen. Frisky wusste das; Naomi war sich da nicht ganz so sicher. Sie wagte auch nicht, Frisky zurückzurufen, aus Angst, die Wachen könnten sie hören. Daher beschloss sie, dem Hund zu folgen. Sie hatte nicht die Absicht, Frisky allein zu lassen, und wenn Ben es von ihr verlangt hätte, hätte sie es ihm mit einem rechten Haken gegeben.
Sie hätte sich keine Sorgen machen brauchen. In dem Augenblick, als Ben das Abflussrohr sah, wusste er, wohin Dennis gegangen war.
»Gute Nase, Frisky«, sagte er noch einmal. Er drehte sich zu Naomi um. »Schaffst du es?«
»Wenn ich einen Anlauf nehme, schaffe ich es.«
»Verschätze den Punkt nicht, wo das Eis brüchig wird, sonst landest du im Wasser. Und deine schweren Kleider werden dich schnell nach unten ziehen.«
»Ich werde aufpassen.«
»Ich zuerst«, sagte Ben. »Wenn nötig, kann ich dich hochziehen.«
Er ging ein paar Schritte zurück und sprang so heftig ab, dass er sich beinahe den Kopf am oberen Ende des Rohrs stieß. Frisky bellte einmal aufgeregt. »Sei still, Hund!«, sagte Ben.
Naomi ging zum Rand des Grabens zurück und blieb dort einen Augenblick stehen (der Schnee fiel mittlerweile so dicht, dass Ben sie nicht sehen konnte), dann rannte sie los. Ben hielt den Atem an und hoffte, dass sie nicht auf das brüchige Eis geriet. Wenn sie zu weit rannte, ehe sie sprang, würden die längsten Arme der Welt sie nicht hochziehen können.
Aber ihr Sprung war perfekt. Ben musste sie nicht ziehen, er musste ihr nur aus dem Weg gehen, als sie im Rohr landete. Sie lief nicht einmal Gefahr, sich zu stoßen wie Ben.
»Das Schlimmste war der Gestank«, sagte Naomi, als sie dem verwunderten Dennis ihre Geschichte erzählten. »Wie konntest du das nur aushalten?«
»Nun, ich habe mir nur immer wieder vorgestellt, was geschehen würde, wenn ich geschnappt würde«, sagte Dennis. »Jedes Mal, wenn ich das tat, schien es ein wenig besser zu riechen.«
Ben lachte und nickte, und Dennis betrachtete ihn einen Augenblick mit glänzenden Augen. Dann sah er wieder zu Naomi. »Aber es roch wirklich schrecklich«, stimmte er zu. »Ich erinnerte mich, dass es schrecklich gerochen hat, als ich ein Kind war, aber ich wusste nicht mehr, dass es so schrecklich war. Vielleicht weiß ein Kind einfach nicht, was schlechter Geruch ist. Oder so etwas.«
»Das könnte sein«, sagte Naomi.
Frisky lag auf einem Stapel königlicher Servietten und hatte den Kopf auf die Pfoten gelegt. Ihre Augen sahen von einem zum anderen, je nachdem, wer gerade sprach. Sie verstand wenig von dem, was gesprochen wurde, aber wenn sie es verstanden hätte, dann hätte er Dennis gesagt, dass seine Geruchswahrnehmung sich seit seiner Kindheit keineswegs verschlechtert hatte. Was sie da gerochen hatten, war natürlich der letzte Rest des Drachensands gewesen. Für Frisky war der Geruch viel schlimmer gewesen als für DAS MÄDCHEN und den GROSSEN JUNGEN. Dennis’ Geruch war immer noch da gewesen, nun vornehmlich als Spritzer und Flecken an den Wänden (wo Dennis sich mit den Händen abgestützt hatte;
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