Die Augen des Drachen - Roman
Spiegel poliert (ein Glanz, für den Dennis verantwortlich war). Abends aber hatte er keine Schuhe an, das Jackett hing im Kleiderschrank, und das Halstuch saß locker; er hatte ein Glas Gin in der Hand und sah für Dennis endlich einmal wie ein normaler Mensch aus.
»Will dir was sagen, das du stets bedenken sollst, Denny«, sagte er in diesem Zustand der Entspannung oftmals zu seinem Sohn. »Es mag in dieser Welt vielleicht ein Dutzend Dinge geben, die von Beständigkeit sind, sicher nicht mehr, vielleicht weniger. Schwärmerische Liebe zu Frauen ist nicht von Dauer, und der Atem eines Läufers ist ebenso wenig dauerhaft wie der eines Aufschneiders, die Heuzeit im Sommer ist nicht beständig, und die Zuckerzeit im Frühling auch nicht. Aber zwei Dinge, die Bestand haben, sind Könige und Diener. Wenn du bei deinem jungen Herrn bleibst, bis er alt ist, und wenn du dich gebührlich um ihn kümmerst, dann wird er sich gebührlich um dich kümmern. Du dienst ihm und er dient dir, wenn du begreifst, was ich meine. Und nun schenk mir noch ein Glas ein und nimm dir auch einen Tropfen, wenn du magst, aber mehr nicht, sonst wird deine Mutter uns beiden bei lebendigem Leibe die Haut abziehen.«
Zweifellos hätte dieser Katechismus einige Söhne sehr bald gelangweilt, aber Dennis nicht. Er gehörte zu dem allerseltensten Typ von Söhnen, ein Junge, der zwanzig Jahre alt geworden war und seinen Vater immer noch für klüger hielt als sich selbst.
Am Morgen nach dem Tod des Königs musste Dennis sich nicht verschlafen um fünf aus dem Bett quälen. Er war bereits um drei Uhr von seinem Vater geweckt worden, der ihm die Nachricht vom Tod des Königs überbrachte.
»Flagg hat einen Trupp zusammengestellt, um das Schloss zu durchsuchen«, sagte sein Vater mit gramerfüllten, blutunterlaufenen Augen, »und das war richtig. Aber mein Herr wird bald den Befehl übernehmen,
und ich werde mich freiwillig melden und ihm helfen - wenn er mich gebrauchen kann -, den Teufel zu jagen, der es getan hat.«
»Ich auch!«, rief Dennis und griff nach seinen Hosen.
»Keineswegs, keineswegs«, sagte sein Vater mit einer Strenge, die Dennis sofort innehalten ließ. »Hier wird alles weitergehen wie immer, Mord oder nicht - jetzt muss man sich mehr denn je an die Traditionen halten. Mein Herr und gleichzeitig dein Herr wird am Mittag zum König gekrönt werden, und das ist gut so, auch wenn er die Krone zu einem schlechten Zeitpunkt erhält. Aber der gewaltsame Tod eines Königs ist stets eine üble Sache, wenn es nicht auf dem Schlachtfeld geschieht. Die alten Traditionen werden zweifellos erhalten bleiben, aber vorübergehend könnte es ein Durcheinander geben. Für dich ist es am besten, Dennis, wenn du wie stets deine Arbeit verrichtest.«
Er entfernte sich, bevor Dennis protestieren konnte.
Als es auf fünf Uhr zuging, erzählte Dennis seiner Mutter, was sein Vater zu ihm gesagt hatte, dass er seinen morgendlichen Pflichten auch dann nachgehen sollte, wenn Peter gar nicht da war, und dem stimmte sie nachdrücklich zu. Sie brannte darauf, das Neueste zu erfahren. Natürlich befahl sie ihm zu gehen … und nicht später als acht Uhr zurückzukehren und ihr alles zu berichten.
Daher ging Dennis in Peters Zimmer, die völlig verlassen waren. Dennoch hielt er sich an die tägliche Routine und bereitete zuletzt auch das Frühstück im Studierzimmer des Prinzen. Er betrachtete wehmütig die Teller und Gläser, die Marmeladen und Gelees, und überlegte, dass heute Morgen sicher nichts davon angerührt werden würde. Doch nachdem er seine üblichen Routinepflichten
erledigt hatte, fühlte er sich zum ersten Mal besser, seit sein Vater ihn geweckt hatte, denn nun begriff er, dass die Dinge, im Guten oder im Bösen, niemals wieder so sein würden wie früher. Die Zeiten hatten sich geändert.
Er wollte sich gerade zurückziehen, als er ein Geräusch hörte. Es war so gedämpft, dass er kaum sagen konnte, wo es seinen Ursprung hatte - lediglich ungefähr die Richtung, aus der es gekommen war. Er sah zu Peters Bücherregal, und sein Herz schien einen Sprung zu machen.
Rauchfäden schlängelten sich zwischen den lose gestellten Büchern hindurch.
Dennis sprang durch das Zimmer und zog mit beiden Händen Bücher aus dem Regal. Er sah, dass der Rauch aus Ritzen in der Rückwand des Regals drang. Auch das Geräusch wurde deutlicher, nachdem er die Bücher beiseitegeräumt hatte. Es war irgendein Tier, das voller Schmerzen fiepte.
Dennis zog und
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