Die Augen des Drachen - Roman
dann war es Peyna einerlei, wie viele Blumenmädchen sich Spreißel einzogen.
Um elf Uhr wurden die Arbeiten jedoch unvermittelt eingestellt. Die Leibwache schickte die Blumenmädchen - die meisten mit Tränen in den Augen - fort.
Um sieben Uhr an diesem Morgen hatte der größte Teil der Leibgarde angefangen, sich die leuchtend
rote Paradeuniform anzuziehen, dazu die hohen grauen Wolfskiefer-Tschakos. Sie sollten das Ehrenspalier bilden, einen doppelreihigen Gang, den Peter entlangschreiten sollte, um gekrönt zu werden. Um elf erhielten sie dann neue Befehle. Seltsame, beunruhigende Befehle. Die Paradeuniformen wurden mit fliegender Hast ausgezogen, und stattdessen legten sie wieder die eintönigen graubraunen Kampfuniformen an. Die repräsentativen, aber unhandlichen Zeremonienschwerter wurden gegen die tödlichen Kurzschwerter eingetauscht, die zur üblichen Ausrüstung gehörten. Eindrucksvolle, aber unpraktische Wolfskiefer-Tschakos wurden weggelegt, stattdessen die glatten Lederhelme aufgesetzt, die zur normalen Gefechtsausrüstung gehörten.
Gefechtsausrüstung - schon allein dieses Wort klingt beunruhigend. Gibt es so etwas wie eine normale Gefechtsausrüstung? Ich finde nicht. Dennoch waren allerorts Soldaten in Gefechtsausrüstung und mit ernsten, verbissenen Gesichtern zu sehen.
Prinz Peter hat Selbstmord begangen! Das war das Gerücht, welches innerhalb der Schlossmauern hauptsächlich die Runde machte.
Prinz Peter ist ermordet worden! Dieses belegte einen knappen zweiten Platz.
Roland ist nicht tot; es handelte sich um eine Fehldiagnose, der Leibarzt ist geköpft worden, aber der alte König hat den Verstand verloren, und keiner weiß, was er tun soll. Das war ein drittes Gerücht.
Es gab noch viele andere, manche davon sogar noch alberner.
Niemand schlief, als sich die Dunkelheit über den verwirrten,
traurigen Burgfried senkte. Alle Fackeln auf dem Platz der Nadel waren angezündet, das Schloss selbst erstrahlte im Licht, in jedem Haus innerhalb des Burgfrieds und auf den Hügeln darunter brannten Kerzen und Laternen, und verunsicherte Bürger fanden sich zusammen, um sich über die Ereignisse des Tages zu unterhalten. Alle waren sich darin einig, dass Unerhörtes im Gange war.
Die Nacht war noch länger als der Tag. Mrs. Brandon hielt in schrecklicher Einsamkeit Ausschau nach ihren Männern. Sie saß am Fenster, aber zum ersten Mal in ihrem Leben waren mehr Gerüchte im Umlauf, als ihr lieb war. Dennoch - konnte sie aufhören, ihnen zuzuhören? Das konnte sie nicht.
In den frühen Morgenstunden, die sich endlos einer Dämmerung entgegenstreckten, welche niemals zu kommen schien, kam ein neues Gerücht auf, das alle anderen verdrängte - es war unglaublich, unvorstellbar, und doch wurde es mit wachsender Gewissheit weitergegeben, bis selbst die Wachen auf ihren Posten es sich mit gedämpften Stimmen zuflüsterten. Dieses neue Gerücht entsetzte Mrs. Brandon am allermeisten, denn sie erinnerte sich - nur zu gut! - daran, wie bleich das Gesicht des armen Dennis gewesen war, als er mit dem Ascheneimer des Prinzen zur Tür hereingekommen war. Darin war etwas gewesen, das übel roch und brannte und das er ihr nicht zeigen wollte.
Prinz Peter wurde unter dem Verdacht verhaftet, seinen Vater ermordet zu haben, lautete dieses schreckliche Gerücht. Er ist verhaftet worden … Prinz Peter ist verhaftet worden … der Prinz hat seinen eigenen Vater umgebracht!
Kurz vor Einbruch der Dämmerung legte die verzweifelte Frau den Kopf auf die Arme und weinte. Nach einer Weile ließ ihr Schluchzen nach, und sie fiel in einen unruhigen Schlaf.
36
»Sag mir, was in dem Eimer ist, aber ganz schnell! Ich möchte keine Dummheiten hören, Dennis, hast du mich verstanden?« Das waren Brandons erste Worte, nachdem er Dennis’ Zimmer betreten und die Tür hinter sich zugemacht hatte.
»Ich werde es dir zeigen, Vater, aber beantworte mir zuerst eine Frage: Mit was für einem Gift wurde der König ermordet?«
»Das weiß niemand.«
»Wie wirkte es?«
»Zeig mir, was in dem Eimer ist, Junge. Sofort!« Brandon ballte die gewaltige, harte Faust. Er schüttelte sie nicht, sondern hielt sie nur hoch.
Das genügte. »Zeig es mir jetzt, oder du beziehst eine Tracht Prügel.«
Brandon betrachtete die tote Maus lange Zeit und sagte nichts. Dennis betrachtete ihn furchtsam, während das Gesicht seines Vaters bleicher, ernster, grauer wurde. Die Augen der Maus waren verbrannt und jetzt nichts mehr als schwarze
Weitere Kostenlose Bücher