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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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und aus den Mundwinkeln. Seine Kehle war so gerötet, dass sie beinahe purpurn erschien.
    »Drache!«, schrie König Roland, als er in den Armen seines Sohnes zusammenbrach. »Drache!«
    Das war das letzte Wort, das er sprach.

32
    Der alte Mann war zäh - unglaublich zäh. Bevor er starb, verströmte er eine solche Hitze, dass niemand, nicht einmal seine treuesten Diener, sich seinem Bett näher als vier Schritte nähern konnten. Mehrmals schütteten sie eimerweise Wasser über den armen, sterbenden König, als sie sahen, dass die Bettlaken zu schwelen anfingen. Jedes Mal verdampfte das Wasser sofort, und die Dampfschwaden stiegen im Schlafzimmer auf und zogen ins Wohnzimmer, wo Höflinge und Reiter benommen schweigend dastanden und die Frauen sich weinend und händeringend in den Ecken drängten.
    Kurz vor Mitternacht schoss ein grüner Feuerstrahl aus seinem Mund und er starb.
    Flagg trat feierlich unter die Tür zwischen Schlaf- und Wohnzimmer und verkündete die Nachricht. Es folgte ein tiefes Schweigen, das länger als eine Minute dauerte. Es wurde von einem einzigen Wort unterbrochen, das irgendwo in der versammelten Menge laut wurde. Flagg wusste nicht, wer dieses eine Wort gesprochen hatte, und es interessierte ihn auch nicht. Es genügte, dass es ausgesprochen worden war. Tatsächlich hätte er jemand bestochen, es auszusprechen, wenn dies nicht mit Gefahr für ihn verbunden gewesen wäre.
    »Mord!«, sagte dieser Jemand.
    Allgemeines Einatmen. Flagg hob würdevoll die Hand vor den Mund - um ein Lächeln zu verbergen.

33
    Der Hofarzt fügte dem einen Wort noch zwei weitere hinzu: Mord durch Gift. Er sagte nicht: Mord durch Drachensand, denn dieses Gift war, ausgenommen Flagg, niemandem in Delain bekannt.
    Der König starb kurz nach Mitternacht, aber als der Morgen graute, hatte sich die Kunde bereits in der ganzen Stadt verbreitet und wurde zu den fernen Gegenden der Westlichen, Östlichen, Südlichen und Nördlichen Baronien getragen: Mord, Königsmord, Roland der Gütige durch Gift gestorben.
    Vorher schon hatte Flagg befohlen, das Schloss von der höchsten Stelle (dem Ostturm) bis zur tiefsten (den Verliesen der Inquisition, mit den Streckbänken und Handschellen und Folterstiefeln) zu durchsuchen. Jeder Hinweis, der mit diesem schrecklichen Verbrechen zusammenhinge, sagte er, müsse gefunden und unverzüglich gemeldet werden.
    Die Suche stürzte das Schloss in hektische Betriebsamkeit. Sechshundert grimmige und entschlossene Männer durchkämmten es. Nur zwei winzige Bereiche des Schlosses wurden ausgespart; das waren die Gemächer der beiden Prinzen, Peter und Thomas.
    Thomas bekam von alledem kaum etwas mit; sein Fieber war so schlimm geworden, dass der Leibarzt sich ernste Sorgen machte. Als sich die Finger der Dämmerung zaghaft in sein Zimmer streckten, lag er im Delirium.
In seinen Träumen sah er immer wieder, wie zwei Gläser Wein emporgehoben wurden, und hörte seinen Vater immer wieder sagen: Hast du ihn gewürzt? Er schmeckte beinahe heiß.
    Flagg hatte die Suche angeordnet, aber gegen zwei Uhr in der Nacht hatte Peter sich wieder so weit in der Gewalt, dass er selbst die Aufsicht übernehmen konnte. Flagg ließ es geschehen. Die nächsten Stunden waren von entscheidender Wichtigkeit, eine Zeit, da alles zu gewinnen oder verlieren war, und das wusste Flagg. Der König war tot; das Königreich war vorübergehend ohne Führer. Aber nicht lange. Heute noch würde Peter am Fuße der Nadel zum König gekrönt werden - wenn das Verbrechen nicht rasch und glaubwürdig dem Jungen in die Schuhe geschoben werden konnte.
    Unter anderen Umständen, das wusste Flagg, wäre der Verdacht sofort auf Peter gefallen. Die Menschen verdächtigten immer diejenigen, die am meisten zu gewinnen hatten, und Peter hatte durch den Tod seines Vaters eine ganze Menge gewonnen. Gift war schrecklich, aber dieses Gift hätte ihm das Königreich einbringen können.
    Aber in diesem Fall sprachen die Menschen im Königreich vom Verlust des Jungen, nicht von seinem Gewinn. Natürlich hatte auch Thomas seinen Vater verloren, fügten sie nach einigen Augenblicken hinzu, fast als schämten sie sich, dass sie das vergessen hatten. Aber Thomas war ein verschlossener, mürrischer und ungeschickter Junge, der oft mit seinem Vater gestritten hatte. Peters Respekt vor Roland und seine Sohnesliebe waren dagegen weithin bekannt. Und warum, würden die Leute sich fragen - wenn die monströse Vorstellung überhaupt aufkam, was bislang noch

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