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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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nicht der Fall war -, warum
sollte Peter seinen Vater ermorden, um die Krone zu erlangen, die er in einem, in drei oder in fünf Jahren ohnehin bekommen würde?
    Wenn jedoch Beweise für das Verbrechen in einem geheimen Versteck gefunden wurden, welches nur Peter allein kannte - einem Versteck in den Gemächern des Prinzen -, dann würde die Meinung bald umschlagen. Die Leute würden anfangen, unter der Maske von Sohnesliebe und Respekt das Gesicht eines Mörders zu sehen. Sie würden darauf hinweisen, dass für die Jugend ein Jahr wie drei erscheinen mag, drei wie neun und fünf wie fünfundzwanzig. Dann würden sie darauf hinweisen, dass der König in den letzten Lebenstagen eine lange, schwere Zeit der Dunkelheit überwunden gehabt zu haben schien - er schien wieder gesund und stark zu werden. Vielleicht, würden sie sagen, hatte Peter angenommen, sein Vater hätte noch einen langen, blühenden Spätsommer vor sich, war in Panik geraten und hatte etwas ebenso Närrisches wie Grässliches getan.
    Flagg wusste darüber hinaus noch etwas; er wusste, dass die Menschen gegenüber allen Königen und Prinzen ein tief verwurzeltes und instinktives Misstrauen haben, denn dies sind Menschen, die mit einem einzigen Nicken ihr Todesurteil besiegeln können, und zwar wegen eines Verbrechens, welches lediglich darin bestand, vor ihren Augen ein Taschentuch fallen zu lassen. Große Könige werden geliebt, mittelmäßige Könige geduldet, künftige Könige jedoch sind eine unheimliche unbekannte Größe. Sie würden Peter verehren, wenn sich die Möglichkeit dazu bot, aber Flagg wusste, sie würden ihn ebenso schnell verdammen, wenn die Beweise ausreichten.

    Flagg wusste, dass diese Beweise bald auftauchen würden.
    Nichts weiter als eine Maus. Winzig … aber groß genug, ein Königreich bis in die Grundfesten zu erschüttern.

34
    In Delain kannte man nur drei Stadien des Daseins: Kindheit, Halbwüchsigkeit, Erwachsensein. Diese »Halb-Jahre« dauerten von vierzehn bis achtzehn.
    Als Peter die Halbwüchsigkeit erreichte, wurden die schimpfenden Kindermädchen durch Brandon ersetzt, seinen Kammerdiener, und Dennis, Brandons Sohn. Brandon würde noch für Jahre Peters Diener sein, aber wahrscheinlich nicht für immer. Peter war noch sehr jung, Brandon dagegen ging schon auf die fünfzig zu. Wenn Brandon seinen Pflichten nicht mehr nachkommen konnte, würde Dennis seine Aufgaben übernehmen. Brandons Familie diente der königlichen Familie bereits seit fast achthundert Jahren, und darauf war sie zu Recht stolz.
    Dennis stand jeden Morgen um fünf Uhr auf, zog sich an, richtete den Anzug seines Vaters und putzte ihm die Schuhe. Dann ging er verschlafen in die Küche und frühstückte. Viertel vor sechs machte er sich von der Unterkunft seiner Familie an der Westseite des Schlossgeländes auf und betrat das Schloss selbst durch das Kleine Westtor.
    Pünktlich um sechs Uhr würde er vor Peters Gemächern stehen, leise eintreten und sich den ersten Aufgaben widmen - das Kaminfeuer anzünden, ein halbes Dutzend Frühstücksbrötchen backen, Wasser für Tee aufstellen. Dann folgte ein Gang durch die drei Zimmer,
die er aufräumte. Das war meistens schnell erledigt, da Peter ein ordentlicher Junge war. Zuletzt kehrte er ins Arbeitszimmer zurück und richtete das Frühstück, denn wenn Peter in seinen Gemächern speiste, dann bevorzugt im Arbeitszimmer, am Ostfenster am Schreibtisch, ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch vor sich.
    Dennis gefiel es nicht, so früh aufzustehen, aber seine Arbeit gefiel ihm sehr, und er mochte Peter gut leiden, der stets geduldig mit ihm war, auch wenn er einmal einen Fehler machte. Er hatte nur einmal die Stimme erhoben, als Dennis ihm eine kleine Zwischenmahlzeit brachte und vergaß, eine Serviette auf das Tablett zu legen.
    »Es tut mir sehr leid, Hoheit«, hatte Dennis bei diesem Anlass gesagt, »ich hätte nie gedacht …«
    »Nun, dann denke beim nächsten Mal!«, hatte Peter gesagt. Er brüllte ihn nicht an, war aber kurz davor. Dennis hatte nie wieder vergessen, eine Serviette auf Peters Tablett zu legen - und manchmal legte er auch zwei darauf, um ganz sicher zu sein.
    Wenn diese morgendlichen Aufgaben erledigt waren, zog sich Dennis zurück, und sein Vater begann seinen Dienst. Brandon war in jeder Beziehung der vollkommene Diener, sein Halstuch stets sorgfältig gebunden, das Haar straff zurückgekämmt und im Nacken auf eine Spange gerollt, Jackett und Hosen makellos, die Schuhe glänzend wie ein

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