Die Augen des Drachen - Roman
genügte, »schlaf wieder.« Und die Maus schlief.
Flagg eilte in Peters Zimmer. Das Kästchen verwahrte er in einer seiner Taschen - Zauberer haben viele, viele Taschen -, die schlafende Maus in einer anderen. Er kam an einigen Dienern und einer Gruppe betrunken lachender Höflinge vorbei, aber niemand sah ihn. Er war immer noch undeutlich.
Peters Gemächer waren verschlossen, aber das war kein Problem für jemanden mit Flaggs Fähigkeiten. Drei Handbewegungen, und das Schloss war offen. Die Zimmer des jungen Prinzen waren natürlich verlassen; er war immer noch bei seiner Freundin. Flagg wusste über Peter nicht so viel wie über Thomas, aber er wusste genug - er wusste zum Beispiel, wo Peter die wenigen Schätze verwahrte, die zu verstecken sich seiner Meinung nach lohnte.
Flagg ging ohne Umschweife zum Bücherregal und zog drei oder vier langweilige Lehrbücher heraus. Er drückte gegen den Holzrahmen und hörte eine Sprungfeder klicken. Dann schob er eine Verkleidung beiseite und öffnete ein Geheimfach hinter dem Regal. Es war nicht einmal verschlossen. In dem Fach befand sich ein seidenes Haarband, das ihm seine Liebste geschenkt hatte, einige Briefe, die sie ihm geschrieben hatte, ein paar Briefe von ihm an sie, die so hell brannten, dass er nicht wagte, sie abzuschicken, und ein kleines Medaillon mit dem Bild seiner Mutter.
Flagg öffnete das gravierte Kästchen und ritzte sehr sorgfältig eine Ecke des Päckchens an. Nun sah es so aus, als wäre es von einer Maus angeknabbert worden. Flagg schloss das Kästchen wieder und stellte es in das Fach. »Du hast so sehr geweint, als du dieses Kästchen verloren hast, mein lieber Peter«, murmelte er. »Ich glaube, du wirst noch mehr weinen, wenn man es findet.« Er kicherte.
Er legte die schlafende Maus neben das Kästchen, machte das Fach zu und stellte die Bücher sorgfältig wieder an ihren Platz zurück.
Dann ging er und schlief ausgezeichnet. Großes Ungemach stand bevor, und er war überzeugt, dass er so gehandelt hatte, wie er bevorzugt handelte - hinter den Kulissen, von keinem gesehen.
31
In den darauffolgenden drei Tagen schien König Roland gesünder, tatendurstiger und entschlossener zu sein, als man ihn seit Jahren erlebt hatte - es war das Hofgespräch. Als er seinen kranken, fiebrigen Bruder in dessen Gemächern besuchte, bemerkte Peter ehrfürchtig zu Thomas, dass die Haare ihres Vaters - die wenigen, die er noch hatte - ihre Farbe von dem feinen Schlohweiß, das sie die letzten vier Jahre gehabt hatten, zu dem stahlgrauen Farbton seiner besten Mannesjahre zurückzuverwandeln schienen.
Thomas lächelte, aber wieder durchzuckten ihn Kälteschauer. Er bat Peter um eine weitere Decke, aber eigentlich war es gar keine Decke, die er brauchte; er musste diesen seltsamen letzten Trinkspruch ungesehen machen, und das war natürlich unmöglich.
Am dritten Tag klagte Roland nach dem Essen über Magenschmerzen. Flagg erbot sich, den Hofarzt kommen zu lassen. Roland winkte mit den Worten ab, er fühle sich prächtig, besser als seit Monaten, seit Jahren …
Er rülpste. Es war ein langer, trockener, rasselnder Laut. Die im Ballsaal versammelte gesellige Menge verstummte, verwundert und erschrocken, als der König vornüberkippte. Die Musiker in der Ecke hörten auf zu spielen. Als Roland sich wieder aufrichtete, ging ein Keuchen durch die Menge der Anwesenden. Die Wangen
des Königs waren in Farben entflammt. Rauchende Tränen rannen aus seinen Augen. Mehr Rauch kräuselte sich aus seinem Mund.
Es hielten sich etwa siebzig Menschen im Speisesaal auf - derb gekleidete Reiter (die wir Ritter genannt hätten, nehme ich an), geschmeidige Höflinge und ihre Damen, Diener der Krone, Kurtisanen, Narren, Musiker, eine kleine Gruppe von Schauspielern in einer Ecke, die später ein Schauspiel aufführen sollten, Bedienstete in großen Mengen. Aber es war Peter, der zu seinem Vater lief, Peter sahen sie alle zu dem todgeweihten Mann eilen, und das gefiel Flagg ganz besonders.
Peter. Sie würden sich daran erinnern, dass es Peter gewesen war.
Roland hielt sich mit einer Hand den Magen, mit der anderen die Brust. Plötzlich quoll Rauch in einer dicken grauweißen Wolke aus seinem Mund. Es war, als hätte der König eine verblüffende neue Methode gelernt, die Geschichte seiner größten Heldentat zu erzählen.
Aber es war kein Trick, und nun wurden Schreie laut, als Rauch nicht nur aus seinem Mund strömte, sondern auch aus den Nasenlöchern, aus den Ohren
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