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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Schlacke. Das braune Fell war schwarz verkohlt. Immer noch kräuselte sich Rauch aus den winzigen Ohren, die Zähne, die durch das Grinsen der Leichenstarre sichtbar geworden waren, waren rußig schwarz, wie der Rost in einem Ofen.
    Brandon streckte die Hand aus, als wollte er sie berühren, zog sie dann aber zurück. Er sah seinen Sohn
an und sagte mit einem heiseren Flüstern: »Wo hast du sie gefunden?«
    Dennis begann, abgehackte Sätze hervorzustoßen, die überhaupt keinen Sinn ergaben.
    Brandon hörte einen Augenblick zu, dann drückte er die Schulter seines Sohnes.
    »Atme tief durch und sieh zu, dass du deine Gedanken in eine Reihe bringst, mein Junge«, sagte er. »Ich stehe bei dieser Sache zu dir, wie in allem anderen auch. Du hast recht getan, deiner Mutter den Anblick dieses armen Geschöpfs zu ersparen. Und nun sag mir, wie und wo du es gefunden hast.«
    Solchermaßen beruhigt konnte Dennis seinem Vater die Geschichte erzählen. Er erzählte es etwas knapper als ich, aber dennoch dauerte es einige Minuten. Sein Vater saß auf einem Stuhl, eine Hand an die Stirn gepresst; er beschattete sich die Augen. Er stellte keine Fragen, er grunzte nicht einmal.
    Als Dennis fertig war, murmelte sein Vater vier Worte. Nur vier Worte, aber das Herz des Jungen erstarrte zu einem kalten blauen Eisklumpen - jedenfalls fühlte er sich in diesem Augenblick so. »Genau wie der König.«
    Brandons Lippen zitterten vor Furcht, aber er versuchte zu lächeln.
    »Glaubst du, dass dieses Tier ein König der Mäuse war, Dennis?«
    »Vater … Papa, ich … ich …«
    »Da war ein Kästchen, sagtest du.«
    »Ja.«
    »Und ein Päckchen.«
    »Ja.«

    »Und das Päckchen war verkohlt, aber nicht verbrannt.«
    »Ja.«
    »Und eine Pinzette.«
    »Ja, wie Mama sie benutzt, um sich Haare aus der Nase zu zupfen...«
    »Pst«, sagte Brandon und presste wieder die Hand gegen die Stirn. »Lass mich nachdenken.«
    Fünf Minuten verstrichen. Brandon saß reglos da, fast so, als wäre er eingeschlafen, aber Dennis wusste es besser. Brandon wusste nicht, dass Peters Mutter ihm das geschnitzte Kästchen gegeben und dass Peter es als kleiner Junge verloren hatte; das alles war geschehen, bevor Peter halbwüchsig geworden und Brandon als sein Diener verpflichtet worden war. Aber von dem Geheimfach wusste er; er hatte es im ersten Jahr, in dem er Peter diente, gefunden (und nicht einmal spät in diesem Jahr). Wie ich vielleicht schon gesagt habe, es war kein besonders geheimes Geheimfach, es genügte eben einem arglosen Jungen wie Peter. Brandon wusste davon, aber seit dem ersten Mal hatte er nicht wieder hineingesehen, und damals hatte es all den üblichen Plunder enthalten, den ein kleiner Junge als seinen Schatz betrachtet - ein Tarotspiel, von dem ein paar Karten fehlten, ein Beutel mit Murmeln, eine Glücksmünze, eine geflochtene Strähne aus Peonys Mähne. Wenn ein guter Diener etwas beherrscht, dann die Tugend, die wir Diskretion nennen, also Respekt vor dem persönlichen Freiraum einer Person. Er hatte niemals wieder in das Geheimfach gesehen. Das wäre wie Diebstahl gewesen.
    Schließlich sagte Dennis: »Sollen wir hinübergehen, Vater, damit du selbst in das Fach sehen kannst?«

    »Nein. Wir müssen zum Obersten Richter gehen, und du musst ihm die Maus zeigen und deine Geschichte erzählen, wie du sie mir erzählt hast.«
    Dennis setzte sich schwer auf sein Bett. Ihm war zumute, als hätte er einen Schlag in den Magen bekommen. Peyna, der Mann, der Gefängnisstrafen und Todesurteile verhängte! Peyna mit dem weißen, drohenden Gesicht und der hohen wächsernen Stirn! Peyna, der gleich nach dem König der mächtigste Mann im Reich war!
    »Nein«, flüsterte er schließlich. »Nein, Dad, ich kann nicht … ich … ich...«
    »Du musst«, sagte sein Vater streng. »Dies ist das Schrecklichste, das dir widerfahren konnte, aber es muss durchgestanden und in Ordnung gebracht werden. Du wirst ihm all das erzählen, was du mir erzählt hast, und dann liegt alles in seinen Händen.«
    Dennis sah seinem Vater in die Augen und erkannte, dass es sein Ernst war. Wenn er sich weigerte, dann würde sein Vater ihn am Kragen packen und wie ein Kätzchen zu Peyna schleppen, zwanzig Jahre alt oder nicht.
    »Ja, Vater«, sagte er kläglich und dachte, dass er ganz bestimmt tot umfallen würde, wenn Peynas kalte, berechnende Augen ihn ansahen. Dann erinnerte er sich mit zunehmender Panik, dass er einen Ascheneimer aus dem Gemach des Prinzen gestohlen hatte.

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