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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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erproben, Hofzauberer?«
    Flagg sah Peyna voller Unschuld an. »An einer Maus natürlich, mein Lord Oberster Richter.«

41
    Um drei Uhr an diesem Nachmittag fand im Königlichen Gericht von Delain am Fuße der Nadel, das im Laufe der Jahre den Beinamen »Peynas Gericht« bekommen hatte, eine seltsame Versammlung statt.
    Versammlung - dieses Wort gefällt mir nicht. Es ist zu zahm und winzig, um die gewichtige Entscheidung zu beschreiben, die an diesem Nachmittag gefällt wurde. Ich kann es auch nicht als Anhörung oder Verhandlung bezeichnen, denn diese Versammlung hatte keine rechtliche Bedeutung, war aber dennoch von größter Wichtigkeit, wie ihr sicher auch finden werdet.
    Der Saal war so groß, dass er fünfhundert Menschen Platz geboten hätte, doch an diesem Nachmittag waren nur sieben anwesend. Sechs davon drängten sich eng zusammen, als machte es sie nervös, so wenige an einem Ort zu sein, der für so viele gedacht war. Das Wappen des Königreichs - ein Einhorn, welches einen Drachen aufspießt - hing an einer der kreisförmigen Steinmauern, und Peter stellte fest, dass sein Blick immer wieder dorthin zurückkehrte. Außer ihm war noch Peyna anwesend sowie Flagg (selbstverständlich war es Flagg, der ein wenig abseits der anderen saß) und vier der Großen Anwälte des Königreichs. Insgesamt gab es zehn Große Anwälte, aber die anderen sechs hielten sich irgendwo an entlegenen Orten von Delain auf und regelten Rechtsfälle. Peyna hatte beschlossen, dass er nicht auf
sie warten konnte. Er wusste, er musste rasch und entschlossen handeln, sonst würde das Königreich darunter leiden. Er wusste es, aber es verbitterte ihn, dass er die Hilfe dieses eiskalten jungen Mörders brauchte, um Blutvergießen zu vermeiden.
    Dass Peter ein Mörder war - das war etwas, was Anders Peyna nun tief in seinem Herzen akzeptierte. Nicht das Kästchen oder der grüne Sand, noch nicht einmal die tote Maus hatten ihn zu dieser Überzeugung gebracht. Es waren Peters Tränen. Peter, das musste man ihm zugestehen, sah nun weder schuldbewusst noch schwach aus. Er war bleich, aber gefasst, und er hatte sich wieder völlig in der Gewalt.
    Peyna räusperte sich. Das Geräusch hallte dumpf von den abweisenden Mauern des Gerichtssaals wider. Er presste eine Hand gegen die Stirn und war nicht sehr überrascht, kalten Schweiß zu spüren. Er hatte Aussagen in Hunderten von großen und ernsten Fällen gehört; er hatte mehr Menschen, als er sich erinnern wollte, unter das Beil des Henkers geschickt. Aber er hatte nie damit gerechnet, dass er einmal an einer »Versammlung« wie dieser oder an einem Prozess gegen einen Prinzen wegen des Mordes an seinem königlichen Vater teilnehmen müsste … und solch ein Prozess würde ganz sicher erfolgen, wenn heute Nachmittag alles so verlief, wie er hoffte. Es war richtig, dachte er, dass er schwitzte und dass dieser Schweiß kalt war.
    Nur eine Versammlung. Keine rechtliche Angelegenheit; keine offizielle Sache; nichts, was das Königreich betraf. Aber keiner der Anwesenden - nicht Peyna, nicht Flagg, nicht die Großen Anwälte noch Peter selbst - ließ sich narren. Dies war die eigentliche Verhandlung.

    Diese Versammlung. Die Macht war hier. Die brennende Maus hatte eine beachtliche Ereigniskette ausgelöst. Diese Ereignisse würden entweder hier abgewendet werden, wie sich ein großer Fluss umleiten ließ, wenn er nahe der Quelle noch ein kleiner Bach war, oder sie würden ungehindert ihren Lauf nehmen und unterwegs an Kraft gewinnen, bis sie keine Macht der Welt mehr aufhalten konnte.
    Nur eine Versammlung, dachte Anders Peyna und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

42
    Flagg verfolgte die Ereignisse aufmerksam. Wie Peyna war auch ihm klar, dass hier und jetzt alles entschieden würde, und er war sich seiner Sache sicher.
    Peter hatte den Kopf erhoben, sein Blick war fest. Er sah nacheinander jedem Mitglied dieses informellen Geschworenengerichts in die Augen.
    Die Steinmauern sahen finster auf alle sieben herab. Die Zuschauerbänke waren verlassen, aber Peyna schien die Blicke von Phantomaugen auf sich ruhen zu spüren, Augen, die verlangten, dass in dieser schrecklichen Sache der Gerechtigkeit Genüge getan wurde.
    »Mein Lord«, sagte Peyna schließlich, »die Sonne hat Euch vor drei Stunden zum König gemacht.«
    Peter sah Peyna überrascht, aber schweigend an.
    »Ja«, sagte Peyna, als hätte Peter etwas gesagt. Die Großen Anwälte nickten, und sie sahen schrecklich ernst aus. »Es

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