Die Augen des Drachen - Roman
auch, warum?«
Ben stand einen Augenblick mit gesenktem Kopf nachdenklich da. Peyna ließ ihn nachdenken. Er mochte diesen Jungen; er schien überlegt und furchtlos zu sein. Viele andere, die in der Nacht zu ihm gebracht worden wären, hätten vor Angst gebrabbelt.
»Wenn ich ihm das sagen würde, würde er es nur noch schneller weitererzählen«, sagte Ben schließlich.
Peyna verzog die Lippen zu einem Lächeln. »Gut«, sagte er. »Weiter.«
»Ihr habt mir zehn Gulden gegeben. Zwei davon soll ich Dennis geben, einen für ihn selbst und einen für denjenigen, der das Puppenhaus findet, welches Peters Mutter gehörte. Die restlichen acht sind für Beson, den Oberwärter. Wer immer das Puppenhaus findet, wird es Dennis bringen. Dennis wird es mir bringen. Ich werde es Beson bringen. Was die Servietten anbelangt, so wird Dennis selbst sie Beson bringen.«
»Wie viele?«
»Einundzwanzig pro Woche«, antwortete Ben prompt. »Servietten des Königshauses, aber ohne Wappen. Euer Mann wird eine Frau beauftragen, die Wappen zu entfernen. Ab und zu werdet Ihr jemanden mit mehr Geld zu mir schicken, entweder für Dennis oder für Beson.«
»Aber nicht für dich?«, fragte Peyna. Er hatte es Ben bereits angeboten, doch dieser hatte abgelehnt.
»Nein. Ich glaube, das ist alles.«
»Du bist sehr aufgeweckt.«
»Ich wünschte nur, ich könnte mehr tun.«
Peyna richtete sich auf, und plötzlich war sein Gesicht schroff und abweisend. »Das darfst du nicht, und das wirst du nicht«, sagte er. »Dies ist gefährlich genug. Du verschaffst einem jungen Mann Gefälligkeiten, der eines schlimmen Mordes überführt worden ist - des zweitschlimmsten Mordes, den man sich nur vorstellen kann.«
»Peter ist mein Freund«, sagte Ben, und er sprach mit einer Würde, die in ihrer Schlichtheit beeindruckend war.
Anders Peyna lächelte ein wenig und hob einen Finger, um auf die verblassenden Blutergüsse in Bens Gesicht
zu deuten. »Ich vermute«, sagte er, »du musstest bereits für diese Freundschaft bezahlen.«
»Ich würde diesen Preis hundertfach bezahlen«, erklärte Ben. Er zögerte nur einen Augenblick, dann fuhr er kühn fort: »Ich glaube nicht, dass er seinen Vater umgebracht hat. Er liebte König Roland so sehr, wie ich meinen eigenen Vater liebe.«
»Wirklich?«, fragte Peyna scheinbar desinteressiert.
»Das tat er!«, rief Ben. »Glaubt Ihr, dass er seinen Vater ermordet hat? Glaubt Ihr das wirklich? «
Peyna lächelte ein so trockenes und grimmiges Lächeln, dass selbst Bens heißes Blut abkühlte.
»Wenn ich es nicht täte, wäre ich vorsichtig, zu wem ich das sage«, meinte er. »Sehr, sehr vorsichtig. Sonst würde ich bald das Beil des Henkers im Nacken spüren.«
Ben sah Peyna schweigend an.
»Du sagst, du bist sein Freund, und ich glaube dir.« Peyna richtete sich noch etwas gerader in seinem Sessel auf und deutete mit dem Finger auf Ben. »Wenn du wirklich sein Freund bist, dann tust du genau das, was ich dir aufgetragen habe, mehr nicht. Wenn du irgendwelche Hoffnungen hegst, dass Peter freigelassen wird, weil du heute so geheimnisvoll hierher bestellt wurdest - und ich sehe deinem Gesicht an, dass du das tust -, so musst du sie sofort wieder vergessen.«
Anstatt nach Arlen zu läuten, führte Peyna den Jungen persönlich zur Tür - zur Hintertür. Der Soldat, der ihn heute Nacht hierher gebracht hatte, würde sich morgen auf den Weg in die Westliche Baronie machen.
Unter der Tür sagte Peyna: »Noch einmal: Verrichte die Dinge, die wir heute abgesprochen haben, genau so wie besprochen. Die Freunde Peters haben neuerdings
in Delain keine Freunde mehr, wie deine Blutergüsse beweisen.«
»Ich nehme es mit allen auf!«, sagte Ben hitzig. »Mit einem nach dem anderen oder mit allen zusammen!«
»Ja«, sagte Anders Peyna mit demselben trockenen, grimmigen Lächeln. »Und würdest du von deiner Mutter dasselbe verlangen? Oder von deiner kleinen Schwester?«
Ben starrte den alten Mann an. In seinem Herzen hatte sich die Furcht wie eine kleine, zarte Rosenknospe geöffnet.
»Dazu wird es kommen, wenn du nicht alle erdenkliche Sorgfalt walten lässt«, erklärte Peyna. »Die Stürme sind in Delain noch nicht vorbei, sie fangen erst an.« Er öffnete die Tür; von einer schwarzen Windbö aufgewirbelt, wehte Schnee herein. »Geh jetzt heim, Ben. Ich glaube, deine Eltern werden froh sein, dich so bald wiederzusehen.«
Das war eine gewaltige Untertreibung. Bens Eltern warteten in ihren Nachtgewändern hinter
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