Die Augen des Drachen - Roman
gewesen. Im Lauf der letzten hundert Jahre waren sie immer wieder gezwungen gewesen, stückweise Land zu verkaufen, so dass nun weniger als sechzig Spulen verblieben, die meisten von ihnen mit Hypotheken belastet.
In den vergangenen zehn Jahren hatte sich jedoch eine allmähliche Besserung eingestellt. Bankiers, die anfangs gedroht hatten, waren nun bereit, fällige Hypothekenzinsen nochmals zu stunden und neue Hypotheken zu so günstigen Bedingungen zu gewähren, wie man sie bislang nicht gekannt hatte. Es hatte Andrew Staad bitter wehgetan, mit ansehen zu müssen, wie das Land seiner Ahnen Spule für Spule weggekauft wurde, und es war ein glücklicher Tag für ihn gewesen, als er zu Halvay gehen konnte, dem das benachbarte Gut gehörte, um ihm zu sagen, dass er ihm die drei Spulen Land, die Halvay bereits seit neun Jahren haben wollte, nun doch nicht verkaufen würde. Und er wusste auch, wem er diese wunderbare Wendung zum Besseren zu verdanken hatte. Seinem Sohn … dem engen Freund des Prinzen, der gleichzeitig der künftige König war.
Und jetzt waren sie nur wieder die vom Unglück verfolgten Staads. Wenn das alles gewesen wäre, wenn lediglich alles wieder so geworden wäre, wie es gewesen war, so hätte er es ertragen können, ohne seinen Sohn bei Tisch zu schlagen … eine Handlung, derer er sich bereits schämte. Aber es wurde nicht alles so, wie es vorher gewesen war. Ihre Lage hatte sich noch verschlechtert.
Er hatte sich betören lassen, als die Bankiers begannen, sich wie Lämmer statt wie Wölfe aufzuführen. Er hatte eine Menge Geld geliehen, einiges davon, um Land zurückzukaufen, das er bereits verkauft hatte, einiges für Neuanschaffungen, etwa die neue Windmühle. Er war sich sicher, dass die Bankiers jetzt ihre Lammfelle abstreifen würden und er seinen Bauernhof nicht stückchenweise, sondern auf einen Schlag verlieren würde.
Und das war noch nicht alles. Ein Instinkt hatte ihm
geraten, seiner Familie zu verbieten, zu Thomas’ Krönung zu gehen, und er hatte auf diese innere Stimme gehört. Heute Abend war er froh darüber.
Es war nach der Krönung geschehen, und wahrscheinlich hätte er damit rechnen müssen. Er war in eine Schänke gegangen, um etwas zu trinken, bevor er nach Hause ging. Die ganze unglückliche Angelegenheit der Ermordung des Königs deprimierte ihn sehr, und er war der Meinung, dass ihm ein Glas Wein guttun würde. Aber man hatte ihn als Bens Vater erkannt.
»Hat dein Sohn seinem Freund geholfen, es zu tun, Staad?«, hatte einer der Trunkenbolde gerufen, und gehässiges Gelächter war aufgekommen.
»Hat er den König festgehalten, während der Prinz ihm das Gift in den Rachen goss?«, rief ein anderer.
Andrew hatte das halbleere Glas abgestellt. Dies war nicht der passende Ort für ihn. Er wollte gehen. Schnell.
Aber bevor er hinausgelangen konnte, zog ihn ein dritter Betrunkener - ein Riese von einem Mann, der wie schimmeliger Weißkohl roch - zurück.
»Und wie viel hast du gewusst?«, hatte dieser Riese ihn leise angeknurrt.
»Nichts«, sagte Andrew. »Ich weiß nichts von dieser Sache und mein Sohn auch nicht. Lass mich gehen.«
»Du wirst gehen, wenn wir - und falls wir dich gehen lassen«, sagte der Riese und stieß ihn zurück in die wartenden Arme der anderen Betrunkenen.
Dann begannen die Prügel. Andy Staad wurde von einem zum anderen gestoßen, manchmal mit der offenen Hand geschlagen, manchmal mit dem Ellbogen angerempelt, manchmal ins Stoplern gebracht. Niemand ging so weit, ihn mit der Faust zu schlagen, aber manchmal
fehlte nicht viel; er konnte in ihren Augen lesen, wie gern sie ihn verprügelt hätten. Wäre es später gewesen, und sie betrunkener, dann hätte er wirklich in eine schlimme Situation geraten können.
Andrew war nicht groß, aber er war breitschultrig und muskulös. Er schätzte, dass er in einem fairen Kampf zwei der Angreifer zurückschlagen konnte - mit Ausnahme des Riesen, und er war überzeugt, dass er selbst diesem Burschen eine Lektion erteilen konnte. Einen, zwei, vielleicht drei … aber alles in allem waren es acht oder zehn. Wäre er in Bens Alter gewesen, heißblütig und voller Stolz, dann hätte er sich vielleicht dennoch mit ihnen eingelassen. Aber er war fünfundvierzig, und der Gedanke, halbtot geprügelt zu seiner Familie zurückzukriechen, gefiel ihm gar nicht. Es würde ihm wehtun und sie ängstigen, und beides würde nichts nutzen - das Unglück der Staads war lediglich wieder einmal mit aller Gewalt über
Weitere Kostenlose Bücher