Die Augen des Drachen - Roman
länger untätig gewesen waren, und sie waren arbeitswillig und webten an Webstühlen wie dem in Sashas Puppenhaus - nur größer natürlich!
Zehn Jahre lang webten mehr als tausend alte Leute Servietten und bekamen dafür hartes Geld aus Kylas Schatzkammer. Zehn Jahre lang brachten Leute, die ein wenig jünger und besser zu Fuß waren, sie in den kühlen, trockenen Lagerraum unter dem Schloss hinab. Peter hatte festgestellt, dass einige der Servietten, die ihm gebracht wurden, nicht nur muffig rochen, sondern auch mottenzerfressen waren. Auch wenn er es nicht wusste - eigentlich war es ein Wunder, dass noch so viele in einem so guten Zustand waren.
Dennis hätte ihm sagen können, dass die Servietten gebracht, einmal benutzt und wieder entfernt wurden (minus der wenigen Fäden, die Peter herauszog). Und dann wurden sie einfach weggeworfen. Warum auch nicht? Es gab so viele davon, dass man fünfhundert Prinzen fünfhundert Jahre lang damit hätte versorgen können - oder
noch länger. Wäre Anders Peyna nicht auch ein barmherziger Mann gewesen, sondern nur ein harter, so wäre die Zahl vielleicht tatsächlich begrenzt gewesen. Aber er wusste sehr wohl, wie dringend die namenlose Frau im Schaukelstuhl die Arbeit und den schmalen Verdienst brauchte (Kyla die Gütige hatte das zu ihrer Zeit auch gewusst), und daher ließ er sie weiterarbeiten, wie er sich auch darum kümmerte, dass Beson seine Gulden auch dann noch bekam, als die Familie Staad geflohen war. Die alte Frau vor dem Zimmer mit den Servietten mit ihrer flinken Nadel, mit der sie nicht stickte, sondern auftrennte, wurde so etwas wie eine Institution. Sie saß Jahr für Jahr in ihrem Schaukelstuhl und entfernte Zehntausende königliche Wappen, und daher war es eigentlich nicht verwunderlich, dass Flagg niemals etwas von den Diebstählen zu Ohren kam.
Ihr seht also, wären nicht eine falsche Annahme und eine nicht gestellte Frage gewesen, dann hätte Peter seine Arbeit viel schneller hinter sich bringen können. Manchmal kam ihm schon der Gedanke, dass die Servietten nicht so schnell kleiner wurden, wie er sie auftrennte, aber er kam nie auf die Idee, seine grundlegende (wenn auch vage) Vorstellung zu hinterfragen, dass ihm immer wieder die gleichen Servietten gebracht wurden. Wenn er sich diese einfache Frage gestellt hätte …!
Aber vielleicht kam letztlich gerade auf diese Weise alles zum Besten.
Oder vielleicht nicht. Und das ist wieder etwas, was ihr selbst entscheiden müsst.
76
Mit der Zeit überwand Dennis seine Angst davor, Thomas’ Diener zu sein. Schließlich achtete Thomas meistens überhaupt nicht auf ihn, nur manchmal rügte er ihn, weil er vergessen hatte, ihm seine Schuhe hinzustellen (normalerweise zog Thomas selbst sie einfach irgendwo aus und vergaß dann, wo sie waren), oder er bestand darauf, dass Dennis ein Glas Wein mit ihm trank. Wenn er Wein trank, wurde Dennis meistens übel, aber er hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, abends ein Gläschen Gin zu trinken. Aber er trank dennoch den Wein. Er brauchte seinen guten alten Dad nicht, um sich sagen zu lassen, dass man eine Einladung des Königs nicht ausschlug. Und manchmal, besonders wenn er betrunken war, verbot Thomas Dennis nach Hause zu gehen und bestand darauf, dass er die Nacht in Thomas’ Gemächern verbrachte. Dennis vermutete zu Recht, dass dies Nächte waren, in denen Thomas sich so einsam fühlte, dass er unbedingt Gesellschaft brauchte. Er hielt dann stets lange, schwärmerische, weitschweifige Predigten darüber, wie schwierig es sei, König zu sein, wie er sich bemühe, seine Aufgaben bestmöglich zu erledigen und gerecht zu sein, und wie ihn dennoch jeder aus dem einen oder anderen Grund hasse. Thomas weinte oft während dieser Predigten oder lachte grundlos, meistens jedoch schlief er einfach mitten in der Verteidigung der einen oder anderen Steuererhöhung ein.
Manchmal stolperte er in sein Bett, und Dennis konnte auf dem Sofa schlafen. Häufig jedoch schlief Thomas auf dem Sofa ein - oder verlor die Besinnung, und dann musste sich Dennis ein unbequemes Lager auf dem abkühlenden Ofen bereiten. Es war wahrscheinlich das seltsamste Leben, das ein Kammerdiener eines Königs jemals geführt hat, aber Dennis kam alles ganz normal vor, weil er es nicht anders kannte.
Dass Thomas ihn weitgehend ignorierte, war eines. Dass Flagg ihn ignorierte, das war wieder etwas ganz anderes und sogar noch wichtiger. Flagg hatte Dennis’ Teil an seinem Plan, der Peter in die
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