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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Drück darauf. Rasch!«
    Die Gewohnheit zu gehorchen war so tief in Dennis verwurzelt, dass er tatsächlich bereits einen Schritt nach vorn gemacht hatte, bevor ihm klar wurde, dass sich Thomas in seinem Traum mit der Stimme eines anderen selbst einen Befehl erteilt hatte. Thomas drückte den Knopf, bevor Dennis mehr als seinen ersten Schritt getan hatte. Der Stein glitt etwa drei Zoll zurück. Es klickte. Dennis’ Kiefer klappte herunter, als ein Teil der Wand nach innen schwang. Thomas drückte sie noch weiter auf, und Dennis sah, dass es sich hier um eine riesige Geheimtür handelte. Bei Geheimtüren dachte er an Geheimfächer, und bei Geheimfächern dachte er an brennende Mäuse. Wieder verspürte er den Wunsch wegzulaufen, und wieder rang er ihn nieder.
    Thomas ging hinein. Einen Augenblick war er nichts weiter als ein weißes Nachthemd in der Dunkelheit, ein Nachthemd ohne jemand darin. Dann schloss sich die Mauer wieder. Die Illusion war perfekt.
    Dennis stand da und trat von einem kalten bloßen Fuß auf den anderen kalten bloßen Fuß. Was sollte er jetzt tun?
    Wieder schien er seines Vaters Stimme zu hören, jetzt deutlich ungeduldig und keine Widerrede duldend: Folge ihm, nichtsnutziger Bengel! Folge ihm, und zwar schnell! Dies ist der Augenblick! Folge ihm!

    Aber Pa, die Dunkelheit …
    Er vermeinte eine heftige Ohrfeige zu verspüren, und Dennis dachte hysterisch: Sogar als Toter hast du noch eine kräftige Handschrift, Dad! Schon gut, schon gut, ich gehe!
    Er zählte von dem beschädigten Stein vier nach oben und drückte. Die Tür schwang etwa vier Zoll nach innen in die Dunkelheit.
    In der ehrfürchtigen Stille des Flurs vernahm er ein leises, kratzendes Geräusch - wie von einer Maus aus Stein. Nach einem Augenblick wurde Dennis klar, dass das seine eigenen Zähne waren, die klapperten.
    O Dad, ich habe solche Angst, klagte er … und dann folgte er König Thomas in die Dunkelheit.

79
    Fünfzig Meilen entfernt war Flagg wegen der bitteren Kälte und dem brüllenden Wind in fünf Decken eingerollt, und er schrie genau in dem Augenblick im Schlaf auf, als Dennis dem König in den Geheimgang folgte. Auf einem nicht weit entfernten Hügel heulten Wölfe gleichzeitig mit diesem Schrei. Der Soldat, der direkt links neben Flagg schlief, starb auf der Stelle an einem Herzschlag. Er hatte geträumt, ein großer Löwe käme daher und wolle ihn verschlingen. Der Soldat, der rechts von Flagg lag, wachte am anderen Morgen auf und stellte fest, dass er blind geworden war. Manchmal erschauern Welten und wanken in ihrer Achse, und das war ein solcher Augenblick. Flagg spürte es, konnte es aber nicht begreifen. Alles Gute der Welt hat nur einen Segen - zu Zeiten von entscheidender Wichtigkeit sind böse Kreaturen manchmal auf seltsame Weise blind. Als der Hofzauberer am nächsten Morgen erwachte, da wusste er, dass er einen schlechten Traum gehabt hatte, wahrscheinlich aus seiner eigenen Vergangenheit, aber er konnte sich nicht erinnern, was es gewesen war.

80
    Die Dunkelheit in dem Geheimgang war undurchdringlich, die Luft unbewegt und trocken. Irgendwo, aus einer unbestimmten Richtung, vernahm Dennis einen schrecklichen einsamen Laut.
    Der König weinte.
    Als er das hörte, wich ein Teil von Dennis’ Furcht von ihm. Er spürte eine tiefe Verwunderung und großes Mitleid für Thomas, der stets so unglücklich zu sein schien und während seiner Regierungszeit fett und pickelig geworden war - häufig war er bleich und zittrig, wenn er in der Nacht zuvor zu viel Wein getrunken hatte, und sein Atem war meist sehr übel riechend. Thomas’ Beine wurden bereits krumm, und wenn Flagg nicht dabei war, hatte er die Neigung, mit gesenktem Kopf und ins Gesicht hängendem Haar zu gehen.
    Dennis ertastete sich mit ausgestreckten Händen den Weg. Das Weinen in der Dunkelheit wurde lauter … und dann war das Dunkel plötzlich nicht mehr so undurchdringlich. Er vernahm ein leises, gleitendes Geräusch, und dann sah er Thomas plötzlich undeutlich. Er stand am Ende des Ganges, und aus zwei kleinen Öffnungen fiel bernsteinfarbenes Licht herein. Dennis erinnerten diese Öffnungen seltsam an schwebende Augen.
    Gerade als Dennis zu glauben begann, alles wäre gut und er würde diesen mitternächtlichen Ausflug überleben, kreischte Thomas auf. Er kreischte so laut, man
hätte meinen können, seine Stimmbänder müssten reißen. Die Kraft wich aus Dennis’ Beinen, und er fiel zu Boden, wobei er die Hände auf den Mund presste,

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