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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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er, zehn Fäden aus jeder Serviette zu ziehen; im dritten Jahr fünfzehn; im vierten Jahr zwanzig. Das Seil wuchs. Nach dem zweiten Jahr war es siebzehneinhalb Meter lang; einunddreißig Meter nach dem dritten; achtundvierzig nach dem vierten.
    Zu dem Zeitpunkt hätte das Seil immer noch nur bis zweiundfünfzig Meter über dem Boden gereicht.
    Im letzten Jahr begann Peter dreißig Fäden von jeder Serviette zu nehmen, und nun wurden seine Diebstähle zum ersten Mal ganz deutlich - jede Serviette sah an allen vier Seiten ausgefranst aus, als wäre sie von Mäusen angenagt worden. Peter wartete voller Furcht darauf, dass sein Diebstahl entdeckt würde.

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    Aber er wurde nicht entdeckt, jetzt nicht, und später auch nicht. Nicht einmal eine Frage wurde jemals gestellt. Peter hatte endlose Nächte (so war es ihm jedenfalls vorgekommen) damit verbracht, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wann Flagg ein falsches Wort oder auch nur eine falsche Andeutung hören konnte und so Wind von dem bekommen würde, was er vorhatte. Peter vermutete, dass er einen Untergebenen schicken würde, und dann würden die Fragen beginnen. Peter hatte alles mit peinlicher Genauigkeit durchdacht, und er hatte in seinen Mutmaßungen nur einen Fehler gemacht - aber dieser führte zu einem weiteren (wie das bei falschen Mutmaßungen meistens der Fall ist), und dieser zweite war entscheidend. Er ging davon aus, dass es eine begrenzte Anzahl Servietten gab - alles in allem vielleicht tausend -, die immer wieder benutzt wurden. Weiter dachte er nie über das Thema des Serviettenvorrats nach. Dennis hätte ihm etwas anderes sagen und ihm damit vielleicht zwei Jahre Arbeit ersparen können, aber Dennis wurde nie gefragt. Die Wahrheit war ebenso einfach wie unfassbar. Peters Servietten kamen nicht aus einem Vorrat von tausend oder zweitausend oder zwanzigtausend; alles in allem waren es fast eine halbe Million dieser alten, moderigen Servietten.
    In einem Untergeschoss des Schlosses befand sich ein Vorratsraum so groß wie ein Ballsaal. Und er war angefüllt
mit Servietten … Servietten … nichts als Servietten. Peter stellte fest, dass sie muffig rochen, und das war nicht verwunderlich; die meisten stammten - Zufall oder nicht - aus der Zeit gleich nach der Gefangennahme und dem Tod von Leven Valera, und die Existenz dieser Servietten war - Zufall oder nicht - zumindest indirekt das Werk von Flagg. Auf eine eigentümliche Weise waren sie sein Produkt.
    Es waren damals wirklich finstere Zeiten für Delain gewesen. Das Chaos, das sich Flagg so sehnlich wünschte, wäre beinahe über das Land hereingebrochen. Valera war eingesperrt worden, der wahnsinnige König Alan hatte an seiner Stelle den Thron bestiegen. Hätte er zehn Jahre länger gelebt, wäre das Königreich sicher im Blut ertrunken … aber Alan wurde vom Blitz getroffen, als er eines Tages im strömenden Regen auf dem Rasen Ball spielte (wie ich schon sagte, er war verrückt). Es war ein Blitz, behaupteten manche, den die Götter selbst herniederfahren ließen. Ihm folgte seine Nichte Kyla, die als Kyla die Gütige bekannt wurde … und von Kyla war die Erbfolge ununterbrochen durch die Generationen bis zu Roland weitergegeben worden - und zu den Brüdern, deren Geschichte ihr bisher mitverfolgt habt. Es war Kyla, die gütige Königin, die das Land aus Dunkelheit und Armut herausführte. Sie hatte die Staatskasse beinahe ruiniert, um das zu bewerkstelligen, aber sie wusste, dass Geldumlauf - hartes Geld - das Blut eines Königreichs ist. In der Zeit der unheimlichen, verworrenen Herrschaft von Alan II., einem König, der manchmal Blut aus den angeschnittenen Ohren seiner Diener getrunken hatte, der darauf bestand, dass er fliegen konnte, der sich für Zauberei und schwarze Kunst mehr interessierte
als für die Staatsfinanzen und das Wohlergehen seines Volkes, war viel vom harten Geld Delains vergeudet worden. Kyla wusste, Liebe und Gulden mussten im Übermaß fließen, um die Fehler von Alans Herrschaft auszubügeln, und sie fing damit an, dass sie versuchte, jede arbeitsfähige Person in Delain wieder zum Arbeiten zu bringen, vom Ältesten bis zum Jüngsten.
    Viele der älteren Bewohner des Schlosses wurden damit beauftragt, Servietten zu machen - nicht weil Servietten gebraucht wurden (ich glaube, ich habe euch bereits erzählt, was die meisten Adligen Delains von ihnen hielten), sondern weil Arbeit gebraucht wurde. In manchen Fällen handelte es sich um Hände, die zwanzig Jahre und

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