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Die Augen des Drachen - Roman

Die Augen des Drachen - Roman

Titel: Die Augen des Drachen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Hofzauberer möglicherweise die Namen bestimmter Verräter von ihm erfahren hatte oder dass Peyna etwas über Flagg wusste, ein Geheimnis kannte, das ans Licht kommen würde, sollte Peyna unerwartet sterben. Das war natürlich lächerlich. Flagg war kein Mann, der sich drohen ließ - weder von Peyna noch von sonst jemandem. Es gab keine Geheimnisse. Es gab keine Vereinbarungen oder Absprachen. Flagg hatte ihn schlicht und einfach leben lassen … und Peyna wusste warum. Tot hätte er vielleicht seinen Frieden gehabt. Aber da er am Leben war, musste er sich weiter auf der Folterbank seines eigenen schlechten Gewissens winden. Er musste die schrecklichen Veränderungen mit ansehen, die Flagg in Delain erreicht hatte.
    »Ja?«, fragte er gereizt. »Was ist denn, Arlen?«
    »Ein Junge ist da, mein Lord. Er sagt, er muss Euch sprechen.«
    »Schick ihn fort«, sagte Peyna verärgert. Er überlegte, dass er noch vor einem Jahr das Klopfen an der Tür selbst gehört hätte, aber er schien mit jedem verstreichenden Tag tauber zu werden. »Ich empfange nach neun niemanden mehr, das weißt du. Es hat sich vieles verändert, aber das nicht.«
    Arlen räusperte sich. »Ich kenne den Jungen. Es ist Dennis, Brandons Sohn. Der Kammerdiener des Königs wünscht Euch zu sehen.«
    Peyna starrte Arlen an und konnte kaum glauben, was er gehört hatte. Vielleicht wurde er schneller taub, als er dachte.

    Er bat Arlen, es zu wiederholen, und es war immer noch genau dasselbe.
    »Ich werde ihn empfangen. Schick ihn herein.«
    »Sehr wohl, mein Lord.« Arlen drehte sich um.
    Die Erinnerung an die Nacht, in der Beson mit Peters Nachricht gekommen war, kam zu Peyna zurück - wahrscheinlich deshalb, weil diese Nacht jener so ähnlich war, bis hin zum kalten Wind, der draußen heulte. »Arlen«, rief er.
    Arlen drehte sich um. »Mein Lord?«
    Peynas rechter Mundwinkel zuckte fast unmerklich. »Bist du dir ganz sicher, dass es kein Zwergenjunge ist?«
    »Ziemlich sicher, mein Lord«, antwortete Arlen, und sein linker Mundwinkel zuckte ebenso unmerklich. »Es gibt keine Zwerge in der bekannten Welt mehr. Das hat meine Mutter mich gelehrt.«
    »Sie war offensichtlich eine Frau von klarem Verstand und großer Klugheit, die entschlossen war, ihren Sohn angemessen zu erziehen, und nicht verantwortlich sein wollte für irgendwelche Makel des Materials, mit dem sie arbeiten musste. Führe den Jungen unverzüglich herein.«
    »Ja, mein Lord.« Die Tür schloss sich.
    Peyna sah wieder ins Feuer und rieb sich die alten, arthritischen Hände in einer Geste ungewohnter Aufregung. Thomas’ Diener. Hier. Jetzt. Warum?
    Aber es hatte keinen Sinn zu spekulieren; die Tür würde sich jeden Augenblick öffnen, und die Antwort würde in Gestalt eines Jungen hereinspaziert kommen, der vor Kälte zittern würde und möglicherweise sogar Erfrierungen hatte.
    Dennis wäre es sehr viel leichter gefallen, zu Peyna zu
gelangen, hätte dieser noch sein prächtiges Haus in der Stadt bewohnt, aber das Haus war nach seiner Amtsniederlegung wegen »nicht bezahlter Steuern« zwangsenteignet worden. Lediglich ein paar hundert Gulden, die er im Verlauf von vierzig Jahren zusammengespart hatte, hatten es ihm ermöglicht, dieses kleine, zugige Bauernhaus zu kaufen und Beson weiterhin zu bezahlen. Eigentlich gehörte es noch zu den Inneren Baronien, lag aber dennoch viele Meilen westlich vom Schloss … und die Nacht war sehr kalt.
    In der Diele hinter der Tür hörte er das Murmeln näher kommender Stimmen. Jetzt. Jetzt würde die Antwort zur Tür hereinkommen. Plötzlich erfüllte ihn wieder dieses absurde Gefühl - dieses Gefühl der Hoffnung, gleich einem Lichtstrahl, der durch eine dunkle Höhle scheint. Jetzt wird die Antwort zur Tür hereinkommen, dachte er, und einen Augenblick glaubte er, dass das tatsächlich stimmte.
    Als er seine Lieblingspfeife vom Pfeifenständer nahm, sah Anders Peyna, dass seine Hände zitterten.

82
    Der Junge war in Wirklichkeit ein Mann, aber Arlens Gebrauch des Wortes war nicht ungerechtfertigt - wenigstens nicht in dieser Nacht. Er fror, das sah Peyna, aber er wusste auch, dass die Kälte niemanden so sehr zittern lässt, wie Dennis zitterte.
    »Dennis!«, sagte Peyna, richtete sich unvermittelt auf (und achtete nicht auf den stechenden Schmerz im Rücken, als er das tat). »Ist dem König etwas geschehen?« Grässliche Vorstellungen und schreckliche Möglichkeiten drangen plötzlich auf Peyna ein. Der König tot, entweder durch zu viel Wein

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