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Die Augen

Die Augen

Titel: Die Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hooper
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vielleicht eine sterbende oder tote Frau bei ihm war, eine Frau, die Maggie unbedingt retten wollte, wenn sie konnte. Wenn sie konnte.
    Die Tür zu ihrer inneren Wahrnehmung durfte sie nicht aufstoßen. Das würde ihr zwar einen Vorteil verschaffen – aber sie möglicherweise auch zerstören. Es würde ihr helfen, ihn zu finden – oder die tödlichen Verletzungen einer anderen würden Maggie umbringen, ohne dass er Hand an sie legen musste.
    Also schirmte sie diese innere Wahrnehmung ab, so gut sie konnte, verschloss sie tief in sich drin, damit sie so inaktiv wie möglich war. Sich dieser Sinne nicht zu bedienen erforderte beinahe ebenso viel Konzentration wie das Gegenteil und ihr war nur allzu bewusst, dass sie dies nicht unbegrenzt durchhalten würde. Einige Minuten, vielleicht.
    Vielleicht.
    Sie atmete tief durch, dann zog sie die schwere Tür auf. Sie quietschte nicht. Drinnen herrschte Dunkelheit, doch als sie eintrat und die Tür sachte wieder hinter sich zuzog, gewöhnten sich ihre Augen rasch daran. Es roch nach alten Maschinen und Staub.
    Und Blut.
    Sie blieb stehen, doch nur einen Augenblick. Vorsichtig bahnte sie sich einen Weg zwischen zersplitterten Lattenkisten und undeutlich erkennbaren rostigen Maschinen hindurch und bekam so allmählich ein Gespür für die Größe des Gebäudes. Schließlich sah sie in der Ferne ein Licht.
    Behutsam bewegte sie sich darauf zu. Ihr fiel auf, dass er nicht in einem geschlossenen Raum … arbeitete. Vielleicht war er ja klaustrophobisch. Früher war er das gewesen, erinnerte sie sich nun. Hatte geschlossene Räume gehasst, schlichtweg gehasst.
    Wann war das gewesen? 1934? Ganz am Anfang, 1894? Sie war sich nicht sicher. Ihre Erinnerungen an frühere Leben bestanden nur aus Instinkten, aufblitzenden Wissensfetzen, prekären Gewissheiten. Das Universum weigerte sich, es ihr leicht zu machen.
    Er hatte ein Lagerhaus mit schwindelerregend hohen Decken gewählt und seinen … seinen Arbeitsplatz … in einem offenen Raum mit Wänden aus alten Lattenkisten und ungebrauchten Maschinen auf der Seite des Gebäudes eingerichtet, die zum Wasser hin lag. Ein Arbeitstisch mit verschiedenen Werkzeugen, Seilen und Flaschen mit undefinierbaren Flüssigkeiten. An einer Seite stand eine Bahre, vermutlich, damit er seine Opfer hinaus zu seinem Transportmittel schieben konnte.
    Und in der Mitte des offenen Raumes …
    Es sah obszön aus. Ein Doppelbett, dessen Kopf- und Fußenden aus Eichenholz mit Schnitzereien verziert waren. Und daneben ein Sessel. Ein wunderschöner gepolsterter Ohrensessel. Mit Fußhocker.
    Von ihrem Standort aus konnte Maggie die Handgelenke einer Frau sehen, die über ihren Kopf erhoben und an den Seiten des Kopfendes festgebunden waren, doch sie konnte nicht erkennen, ob Tara noch lebte oder schon tot war.
    Obwohl sie ihre innere Wahrnehmung abgeschottet hatte, fühlte sie die Schmerzen. Die Schmerzen dieses Opfers und derer, die ihr vorangegangen waren, fernes Flüstern von Todesqualen, so heftig, dass sie in die Substanz dieses Gebäudes, in die Teilchen, die es real machten, eingesickert waren. Maggie musste einen Moment innehalten und sich die Hände auf den Mund drücken, sich darauf konzentrieren, all das abzublocken, auszuschließen, verschlossen zu halten.
    Als sie schließlich die Augen wieder öffnete, sah sie ihn.
    Er war aus dem Schatten getreten und tat irgendetwas an seinem Arbeitstisch. Sogar von wo sie stand konnte sie ganz schwach ein wortloses Summen hören, beinahe ein Gurren. Als er sich dem Bett zuwandte, sah sie, dass er eine Plastikmaske trug, keine Gruselmaske, sondern eine mit makellosen, glatt polierten Zügen wie denen einer Statue, weiß und leblos. Weiblichen Gesichtszügen. Und die Haare der schwarzen Perücke, die er trug, fielen zu beiden Seiten seines maskierten Gesichts herab, sodass er das unheimliche Aussehen einer Schaufensterpuppe hatte.
    Sie sah auch, dass er ein Messer in der Hand hielt.
    Maggie trat einen Schritt vor, doch dann erstarrte sie. Eine schattenhafte Gestalt war zwischen zwei großen Lattenkisten ganz in ihrer Nähe erschienen, hatte kurz innegehalten, um Maggie zuzuwinken, und war dann auf den Arbeitsbereich zugeschwebt. Eine schmale kindliche junge Frau mit herzförmigem Gesicht, zarten Gesichtszügen und langem dunklem Haar.
    Annie.
    » Bobby … Bobby …«
    Ruckartig blieb er stehen, das gespenstisch hübsche weiße Gesicht fuhr herum.
    » Bobby …«
    Maggie begriff und schlich an die Seite, um sich ihm

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