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Die Augen

Die Augen

Titel: Die Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hooper
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aus einer anderen Richtung zu nähern. Dann ging sie auf ihn zu und hoffte, ihre eigene Stimme würde nicht zu zittrig und dennoch genauso schaurig wie Annies klingen. Sie rief: »Bobby … Es tut mir Leid, Bobby, so Leid. Was ich gesagt habe, war nicht so gemeint …« Sie wusste nicht, woher die Worte kamen. Erinnerung. Instinkt.
    Sein Messer fiel klappernd auf den Steinboden, und er wich einen Schritt zurück. Seine Körperhaltung drückte Anspannung und Unbehagen aus, während das weiße Gesicht ausdruckslos blieb. Er tastete hinter sich auf dem Tisch, dann hielt er eine Pistole in der schwarzbehandschuhten zitternden Hand.
    Maggie fragte sich, ob dies die Waffe war, mit der er Quentins Freund Joey erschossen hatte.
    »Bobby«, murmelte Annie traurig, »du hast mir wehgetan, Bobby. Warum hast du mir wehgetan?« Sie glitt ins Licht, ihm gegenüber. Trat ihm entgegen. Sie trug ein Nachthemd aus feinem, dünnem Leinen, ihre Füße waren nackt. »Warum hast du mir wehgetan, Bruder?«
    Hinter seiner Maske stieß er einen sonderbaren, schroffen Laut aus.
    »Bobby«, rief Maggie und bewegte sich langsam auf die beiden zu. »Bobby, ich habe es nicht so gemeint, als ich gesagt habe, du bist kein Mann. Ich wollte dich nicht auslachen.« Sie warf einen raschen Blick aufs Bett und zuckte zusammen beim Anblick der blutgetränkten Matratze, des bleichen, schmalen Körpers, der völlig zerschunden war. Der fehlenden Augen.
    Sie konnte nicht sagen, ob Tara lebte oder tot war.
    Für einen Augenblick entglitt ihr die Kontrolle über ihre Abschirmung, und sie verspürte einen stechenden Schmerz, der so heftig war, dass sie ums Haar zusammengeklappt wäre. Verzweifelt kämpfte sie darum, ihre inneren Schutzwälle zu verstärken, dieses Leiden auszuschließen, das sie sich diesmal nicht leisten konnte zu teilen.
    »Bobby.« Annie glitt noch einige Schritte auf ihn zu und streckte flehentlich die Hände aus, um seine Aufmerksamkeit von Maggie abzulenken. »Ich habe lange versucht, dich zu finden. Ich vermisse dich so sehr …«
    Er stieß einen erstickten Laut aus, und nun riss er sich die Maske vom Gesicht und die Perücke vom Kopf. Maggie erkannte ihn von den Fotos, die Christina ihr gezeigt hatte. Er war ein gewöhnlicher Mann mit braunem Haar, hoher Stirn und blassgrauen Augen. Schlank, doch mit breiten Schultern und jenen sonderbar unpassenden übergroßen Händen, deren Kraft auch mit Handschuhen unübersehbar war. Besonders mit Handschuhen.
    Doch ansonsten ein ganz gewöhnlicher Mann.
    »Du bist tot«, sagte er mit heiserer Stimme zu Annie.
    Maggie trat ins Licht. »Wir sind beide tot, Bobby. Du hast uns getötet. Du hast uns vor langer Zeit getötet.« Sie hatte schreckliche Angst, sich zu irren. Schreckliche Angst, dass sie nicht stark genug war, um dieses Böse zu zerstören. Schreckliche Angst zu sterben.
    Er schluckte heftig und starrte jetzt sie an. »Deanna … Ich habe dich getötet. Warum bleibst du nicht tot?« Seine Stimme brach. »Warum zum Teufel bleibst du nicht tot? «
    Annie ließ ein süßes Lachen hören. »Wir sind stärker als du, Bobby. Wir waren immer schon stärker. Wusstest du das nicht?« Er zerriss die Stille, indem er zwei Mal direkt auf sie schoss.
    Die Kugeln trafen die Lattenkiste hinter ihr, Holz splitterte. Sie lächelte ihn an. »Wir sind stärker, Bobby. Wir werden immer stärker sein.«
    »Nein! Ich bin stärker! Ich kann euch töten. Ich kann euch alle umbringen!«
    »Mich hast du nicht getötet, Bobby«, sagte Hollis und trat aus dem Schatten, wenige Schritte rechts von Maggie.
    Er stieß eine Art Geheul aus und wich zurück, bis er mit dem Rücken am Arbeitstisch stand und nicht weiter konnte. »Nein. Nein, ich kann dich töten. Ich habe dich getötet …«
    Unwillkürlich sagte Maggie: »Und es nutzt nichts, uns zu blenden, Bobby. Wir sehen dich. Wir sehen dich immer.«
    »Immer«, wiederholte Hollis und trat einen weiteren Schritt auf ihn zu. Ihre Augenlider waren gerötet, die Narben des Überfalls in ihrem Gesicht nur halb verheilt, doch sie blickte ihn aus blauen Augen an. Ihr Blick war klar und fest, und auf ihrem Gesicht lag ein verächtliches kleines Lächeln. »Hast du wirklich geglaubt, du könntest mir die Augen nehmen, Bobby?«
    »Ich habe es getan«, murmelte er. Plötzlich lachte er auf, in seinen eigenen Augen glänzten Tränen, vielleicht auch Wahnsinn. »Ich habe es getan. Ich habe sie entfernt. Ich habe sie rausgeschnitten. Ich habe sie in eine Schüssel gelegt und

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