Die Augen
mit dem letzten Opfer sprechen, und bis dahin gibt es nicht viel für mich zu tun. Einfach nur herumzusitzen und auf den nächsten Überfall zu warten ist ziemlich zermürbend.«
»Ich habe dich gewarnt«, murmelte er.
»Das weiß ich. Aber warum hast du mich dann nicht auch davor gewarnt, dass Hollis Templeton namentlich nach mir fragen würde?«
Er hielt in seiner Arbeit inne und sah sie prüfend an. »Niemand hat ihr deinen Namen gesagt?«
»Nein.«
»Was weißt du über sie?« Maggie zuckte mit den Achseln. »Sie ist Künstlerin, aber sie ist neu in Seattle, und ich glaube, was sie früher an der Ostküste gemacht hat, war hauptsächlich kommerzieller Kram, deshalb können wir eigentlich nicht von ihr gehört haben. Ende zwanzig, Single. Von dem Foto her, das ich gesehen habe, war sie vor dem Überfall attraktiv. Was jetzt ist, weiß ich nicht.«
»Er hat ihr die Augen genommen.«
»Ja. Er hat sie … offenbar sehr sauber entfernt, sagen ihre Ärzte. Keine Säure diesmal. Er hat ein Messer oder ein Skalpell benutzt und scheint gewusst zu haben, was er da tat. Sehnerv, Augenhöhle und Lider wurden kaum beschädigt. Deshalb haben sie sich auch zu einer Transplantation entschlossen.«
»War sie erfolgreich?«
»Sag du’s mir.«
Er lächelte flüchtig und wandte sich wieder seinem Gemälde zu.
»Ich hasse es, wenn du das tust«, erklärte Maggie.
»Was tue?« Sein Tonfall war unschuldig.
»Eine Frage ignorieren. Ich kriege mittlerweile wirklich die Panik, wenn du nicht antworten willst.«
»Ob Hollis Templeton wieder sehen kann, liegt ganz an ihr.«
»Hübsch rätselhaft. Bringen Sie euch das in der Seherschule bei?«
»Ich war nicht auf der Seherschule.«
»Dann eben auf der Prognostikerschule.«
Er kicherte. »Da war ich auch nicht.«
Als ihr klar wurde, dass er nichts mehr sagen würde, wenigstens im Augenblick nicht, seufzte Maggie und schlug ihren Skizzenblock auf.
Eine Weile starrte sie auf das grob umrissene Gesicht des Vergewaltigers, dann fluchte sie leise und schloss den Block wieder.
»Ich hasse das wirklich, Beau«, schnaubte sie völlig entnervt.
»Das weiß ich. Es tut mir Leid.«
»Aber nicht so sehr, dass du weniger rätselhaft wärst.«
»Dass es einem Leid tut, hat damit nichts zu tun.«
»Freier Wille.«
Er nickte und trat von der Staffelei zurück, um die Pinsel auszuwaschen. »Freier Wille. Du musst deine Entscheidungen aus deinem eigenen freien Willen heraus treffen.«
Maggie betrachtete ihn verstimmt. »Trotzdem weißt du, wie diese Entscheidungen ausfallen werden. Demzufolge ist das Schicksal der Menschen festgelegt, meines ist bereits verplant – und so was wie freier Wille existiert gar nicht.«
»Dann nenn es die Illusion des freien Willens.«
»Du kannst einen manchmal wahnsinnig machen, weißt du das?«
»Du sagst es mir schließlich oft genug.« Beau verschwand kurz in der Küche und kehrte mit zwei Dosen eines Erfrischungsgetränks zurück. »Dieses Zeug ist sehr schlecht für uns«, sagte er wenig präzise. »Habe ich irgendwo gelesen.«
Er reichte ihr eine Dose, setzte sich ihr gegenüber und öffnete seine Dose.
Maggie tat es ihm nach. »Du schwörst mir, dass du mir nicht sagen kannst, wer der Vergewaltiger ist?«
Beau verzog das Gesicht. »Ich spüre da keine Identität, und ich kann sein Gesicht nicht sehen. Das ist etwas, was ich dir sagen würde, wenn ich könnte, Maggie, glaub mir. Im Seherhandbuch steht nichts davon, dass man Ungeheuer schützen soll.«
»Und er ist eines. Unmenschlich.«
»Ich weiß.«
»Ich muss ihn aufhalten.«
»Du meinst, du musst es versuchen.«
»Ja. Ja, natürlich, das meine ich doch.«
»Du hilfst, Maggie.«
»Ja? Ich habe noch keine Zeichnung.«
»Das vielleicht nicht, aber du hilfst diesen Frauen. Wenn sie hinterher so etwas wie ein Leben haben, dann verdanken sie das größtenteils dir.«
»Und warum fühle ich mich dann nicht besser?«
Leise sagte er: »Weil du zugelassen hast, dass sie dir zu nahe kommen. Du wirst deine Arbeit nicht mehr lange machen können, wenn du dich nicht ein bisschen rausziehst. Versuche, nicht alles zu fühlen, was sie fühlen.«
»Bring mir bei, wie man das macht, dann versuche ich es mal damit.« Sie lachte, doch es war ein freudloses Lachen. »Uns wird die Zeit knapp. Ab jetzt wird es nur immer noch schlimmer werden, Beau, das wissen wir beide.«
»Trotzdem, versuch nicht immer alles alleine zu schultern. Du kannst das nicht alleine machen, das habe ich dir schon mal
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