Die Auserwaehlte
papierne Dekorationen Waffen und Rüstungen symbolisierten. Jetzt saß er auf der gleichen Stufe wie sie, allerdings rechts vom Priester. Seine Gewänder waren ebenfalls kostbar und wertvoll gearbeitet, doch sein Gesicht war hinter einer gewaltigen Maske aus Federn verborgen, die von irgendeinem seit langem verstorbenen Ahn der Anasati nur für Hochzeiten hergestellt worden war.
Der Hohepriester hob seine Arme, drehte die Handflächen gen Himmel und intonierte den einleitenden Gesang: »Am Anfang war nichts als Macht in den Gedanken der Götter. Am Anfang formten sie mit ihrer Macht Dunkelheit und Licht, Feuer und Luft, Land und See, und erst ganz zum Schluß den Mann und die Frau. Am Anfang erschufen die getrennten Körper von Mann und Frau die Einheit des göttlichen Gedankens, der sie erschaffen hatte, von neuem, und Kinder wurden gezeugt und geboren, um die Macht der Götter zu rühmen. An diesem Tag, wie zu Beginn, sind wir versammelt, um die Einheit des göttlichen Willens zu bezeugen – durch die Verbindung der irdischen Körper dieser jungen Frau und dieses jungen Mannes.«
Der Priester ließ seine Hände sinken. Ein Gong erklang, und einige Jungen sangen eine Passage, die die Dunkelheit und das Licht der Erschaffung beschrieb. Dann standen die versammelten Gäste unter lautem Quietschen ihrer Sandalen und dem Rascheln von Seide, Brokat, Perlen und juwelenbesetzten Federn auf.
Der Priester fuhr mit dem Gesang fort, während Mara den Drang bekämpfte, die Hand unter den Schleier zu schieben und sich an der Nase zu kratzen. Der Prunk und der formelle Charakter der Zeremonie erinnerten sie an ein Ereignis ihrer Kindheit, als sie und Lano von einer ähnlich großen Hochzeit wie der, die sie soeben erdulden mußte, nach Hause zurückgekehrt waren. Als Kinder hatten sie oft Braut und Bräutigam gespielt; Mara pflegte dann ihre Haare mit Akasi-Blumen zu schmücken und sich auf die von der Sonne gewärmten Bretter eines Thyza-Wagens zu setzen, während Lanos Hochzeitsmaske aus gebackenem Schlamm mit Lehm und Federn bestand. Der »Priester« war ein betagter Sklave gewesen, dem sie so lange zugesetzt hatten, bis er sich zu diesem Anlaß ein Bettuch umgehängt hatte. Traurig verkrampfte Mara ihre Finger; der Festkranz in ihren Händen war dieses Mal Wirklichkeit, nicht die aus Gräsern und Reben geflochtene Einbildung eines Kindes. Hätte Lanokota noch gelebt und an der Feier teilgenommen, er hätte sie geneckt und ihr Glück gewünscht. Aber Mara wußte, daß er innerlich geweint hätte.
Der Priester setzte jetzt zu einer anderen Passage an, und der Gong ertönte. Die Gäste nahmen wieder auf ihren Kissen Platz, und der Akolyth zündete auf dem Podest die Kerzen an. Ihr schwerer Duft erfüllte die Halle, während der Hohepriester die Tugenden der Ersten Ehefrau wiedergab. Jedesmal, wenn er mit einer fertig war – Keuschheit, Gehorsamkeit, Wohlerzogenheit, Reinlichkeit und Fruchtbarkeit – beugte Mara sich nach unten und berührte mit der Stirn den Boden. Wenn sie sich wieder aufrichtete, entfernte ein Akolyth mit gefärbten Händen und Füßen die Schleier, den weißen für die Keuschheit, den blauen für die Gehorsamkeit und den rosafarbenen für die Wohlerzogenheit, bis nur noch ein dünner grauer Schleier für die Ehre der Acoma übrigblieb.
Der gazeartige Stoff kratzte immer noch, aber immerhin konnte Mara jetzt ihre Umgebung erkennen. Die Anasati saßen auf der Seite des Bräutigams, so wie die Gefolgschaft der Acoma hinter Mara saß. Die anderen Gäste hatten entsprechend ihrer Bedeutung Platz genommen. Am hellsten schimmerte das weißgoldene Gewand des Kriegsherrn, der dem Podest am nächsten saß. An seiner Seite saß seine Frau in scharlachrotem Brokat, in das türkisfarbene Federn eingenäht waren. Doch zwei Männer stachen in ihren tiefschwarzen Gewändern aus der Mitte des farbenfrohen Reigens heraus wie zwei Nachtvögel, die sich in einem Blumenbeet ausruhen. Es waren zwei Erhabene aus der Versammlung der Magier, die Almecho zur Hochzeit des Sohnes seines alten Freundes begleitet hatten.
Als nächstes in der Rangordnung hätten die Minwanabi folgen müssen, doch die Blutfehde zwischen den Minwanabi und den Acoma entschuldigte das Fehlen Jingus, ohne daß eine Beleidigung seitens der Anasati damit verbunden gewesen wäre. Nur bei einem Staatsakt wie der Krönung des Kaisers oder der Geburtstagsfeier des Kriegsherrn würden sich die beiden Familien ohne Auseinandersetzung begegnen können.
Hinter
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