Die Auserwaehlte
Höflinge und Bediensteten aussahen wie Statuen, die sich kaum bewegten und so gut wie keine Laute von sich gaben.
Am Kopfende des langen, mit Teppichen ausgelegten Mittelgangs saß auf einem beeindruckenden Podest der Lord der Anasati in seiner offiziellen Amtsrobe. Schweiß glänzte wegen dem Gewicht seiner zeremoniellen Kopfbedeckung auf seiner Stirn, doch seine mageren, scharfgeschnittenen Gesichtszüge zeigten keine Spur von Unbehagen, obwohl er in der Mittagshitze in seiner Kleidung beinahe erstickte. Ein Dutzend Schärpen in Scharlachrot und Gelb verhinderte das freie Atmen, denn die Schleifen blähten sich auf wie starke Flügel und hielten seine Schultern zurück; jedesmal, wenn er sich bewegte, mußten Diener herbeieilen und sie wieder zurechtrücken. In der einen Hand hielt er einen geschnitzten Stab, Zeichen seiner Stellung als Herrscher. Der Ursprung dieses Amtszeichens war im Lauf der Zeit verlorengegangen. Auf seinen Knien ruhte das uralte Stahlschwert der Anasati, ein wichtiges Relikt, das gleich an zweiter Stelle nach dem Famihen-Natami kam. Seit den Tagen der Goldenen Brücke und der Flucht, als die Völker zum ersten Mal nach Kelewan gekommen waren, wurde es vom Vater auf den Sohn vererbt. Jetzt lag es mit grausamer Schwere auf den alten Knien, eine Unannehmlichkeit, die der Lord der Anasati genau wie all die anderen Amtsinsignien erdulden mußte, während er auf die Ankunft des Emporkömmlings – dieses Acoma-Mädchens – wartete. Der Raum war wie ein Backofen, denn entsprechend der Tradition mußten sämtliche Läden bis zum offiziellen Auftritt des oder der Werbenden geschlossen bleiben.
Tecuma, Lord der Anasati, nickte leicht mit dem Kopf, und sein Erster Berater Chumaka eilte zu ihm. »Wie lange noch?« flüsterte der Lord ungeduldig.
»Nicht mehr lange, Herr.« Der loyale Berater hüpfte wie ein nervöses Nagetier auf und ab und setzte zu einer Erklärung an: »Der Gong hat dreimal geläutet – als Maras Sänfte das äußere Tor erreichte, als sie am Haupthaus ankam und jetzt gerade, als sie durch das Tor hindurch den Innenhof betrat. Der vierte Schlag wird erklingen, wenn sie Eurer erhabenen Gegenwart teilhaftig werden wird, Mylord.«
Der Lord der Anasati spürte den lastenden Druck der Stille und empfand tiefes Verlangen nach Musik. »Habt Ihr an das gedacht, was ich Euch aufgetragen hatte?« fragte er.
»Natürlich, Mylord. Euer Wunsch ist mir Befehl. Ich habe mehrere geeignete Beleidigungen zusammengestellt, mit denen Ihr auf die Anmaßung der Acoma-Hexe antworten könnt.« Der Berater leckte sich die Lippen. »Falls sie Euren Sohn Jiro als Gemahl erbittet… nun, das wäre brillant…« Der Lord der Anasati warf seinem Berater einen neugierigen Blick zu, was die linke Seite seiner Festtagsrobe nach unten rutschen ließ. Bedienstete stürzten zu ihm und rückten die Unordnung mit eifrigen Händen wieder zurecht. Chumaka fuhr mit seinen Bemerkungen fort: »Brillant, wenn auch nur die geringste Hoffnung auf Erfolg bestünde. Eine Heirat Maras mit einem Eurer Söhne würde Euch als Verbündeten an die Acoma binden. Ihr müßtet nicht nur die Schatzkammern leeren, um sie schützen zu können; die Hexe wäre dann auch in der Lage, ihre gesamte Aufmerksamkeit auf den Lord der Minwanabi zu richten.«
Der Lord der Anasati kräuselte die Lippen, ein Zeichen seiner nur mühsam verborgenen Abneigung gegenüber dem soeben erwähnten Mann. »Ich werde sie selbst heiraten, wenn ich auch nur im entferntesten daran glauben würde, daß es ihr gelingen könnte, diesen Jaguna im Spiel des Rates zu vernichten.« Er runzelte die Stirn. Als er den nächsten Gedanken aussprach, wurden seine Knöchel weiß, so fest hielt er den Stab umfaßt. »Aber was will sie erreichen? Sie muß sich darüber im klaren sein, daß wir ihr niemals gestatten werden, Jiro als Gatten zu sich zu nehmen. Außer den Fünf Großen Familien ist die Familie der Acoma die einzige, die noch älter ist als meine. Wenn sie fällt, und wenn mit etwas Glück auch eine der Fünf fällt …«
»… dann würden die Anasati eine der Fünf Großen«, beendete Chumaka den schon so oft ausgesprochenen Wunsch seines Herrn.
Tecuma nickte. »Und eines Tages würde einer meiner Nachfolger vielleicht Kriegsherr.« Er warf einen Blick nach links, wo seine drei Söhne auf einem etwas niedrigeren Podest warteten.
Seinem Vater am nächsten saß Halesko, Erbe des Anasati-Mantels. Neben ihm war Jiro, der klügste und fähigste der drei. Es war
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