Die Auserwählte: Roman (German Edition)
untergehen? Schon immer. Ich habe es satt, vom Weltuntergang zu hören.«
»Aber …«
»Parker.« Ich packte ihn an den Schultern und sprach leise, aber bestimmt, so wie Mom es immer tat, wenn sie ihren Standpunkt deutlich machen wollte. »Sie sind eine Kultgemeinschaft. Sie sind kein bisschen anders als die Jünger.«
»Wir haben nichts mit den Jüngern gemein«, knurrte Mr Kale.
»Ich habe nicht mit Ihnen gesprochen«, knurrte ich zurück. Wir klangen wie zwei Wachhunde.
Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich, und ich spürte ein Kribbeln im Kopf, als wäre ich zu schnell aufgestanden.
Passen Sie auf Ihren Ton auf, Miss Price. Ich bin immer noch Ihr Lehrer.
Die Stimme, die in meinem Kopf sprach, gehörte nicht mir.
Mr Kale fixierte mich mit zusammengekniffenen Augen.
Ich weiß, wer Sie sind. Ich weiß, was Sie sind. Und ich weiß von den Blitzen.
Ich spürte, wie meine Augen größer wurden, und schüttelte den Kopf, als könnte ich Mr Kale auf diese Weise abschütteln.
»Nein«, murmelte ich und hielt mir die Ohren zu. »Nein, nein, nein. Das ist nicht wahr.«
Es ist wahr. Alles ist miteinander verbunden, Mia. Die Energie ist überall. Sie können sich ihr nicht entziehen.
»Mia?« Parkers Augenbrauen zogen sich zusammen. »Was ist los mit dir?«
Ist es wirklich so schwer zu glauben? Es hat schon immer Menschen gegeben, die unerklärliche Fähigkeiten besitzen. Hellseher und Heiler. Gedankenleser. Menschen, die mit ihrer Willenskraft Gegenstände bewegen und Feuer entfachen können. Menschen, die in die Vergangenheit oder in die Zukunft blicken können. Diese Menschen besitzen den Funken, und Sie besitzen ihn ebenfalls.
»Nein …«
Wozu sind Sie in der Lage, Mia? Wird es nicht Zeit, dass Sie es herausfinden? Oder wissen Sie es bereits?
Mr Kales Augen waren dunkel wie Öl und lodernd. Hypnotisierend.
Ich riss meinen Blick von ihm los, packte Parker am Arm, zerrte ihn zur Tür hinaus und schlug sie hinter uns zu. Das Surren in meinem Kopf ließ nach, und mit ihm verstummte Mr Kales Stimme, aber ich lief trotzdem weiter und zog Parker hinter mir her, bis wir bei der Treppe angelangten. Dann schaltete er auf stur und rührte sich nicht mehr von der Stelle.
Ich rechnete damit, dass er verlangen würde, zurückzugehen und den Rest anzuhören, doch mein Gesichtsausdruck muss ihn überzeugt haben, es bleiben zu lassen.
»Du bist kreidebleich«, stellte er fest und runzelte besorgt die Stirn. »Du wirst doch nicht wieder ohnmächtig, oder? Möchtest du dich hinsetzen?«
Ich schüttelte den Kopf, hielt dabei jedoch den Blick auf die Tür von Mr Kales Klassenzimmer gerichtet und hoffte, dass sie nicht aufgehen würde.
»Können wir bitte nach Hause fahren? Bitte, Parker«, bettelte ich. Mir war alles egal, ich wollte nur so weit wie möglich von Raum 317 weg.
Parker blickte ebenfalls den Korridor hinunter zu Mr Kales Tür. Dann seufzte er. »Lass uns nach Hause fahren.«
8
W as macht der denn noch hier?«, fragte Parker, als wir in unsere Straße einbogen. Er deutete auf Milizionär Brent, der vor unserem Haus stand. Seine Haltung glich der eines Bodyguards: breitbeinig, die Arme weit oben vor der Brust verschränkt.
Als ich ihn sah, bekam ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend. War etwas passiert? Hatte jemand versucht, bei uns einzubrechen?
Ich parkte am Randstein und stellte den Motor ab. Milizionär Brent drehte sich nicht um. Bewegte keinen Muskel. Er erinnerte mich an einen Wachsoldaten vor dem Palast der Königin von England.
Parker beäugte Milizionär Brent argwöhnisch. »Ich sehe mal nach Mom.« Er machte einen Bogen um den Mann, sperrte die Haustür auf und schlüpfte hinein. Ich nahm die kleine Schachtel mit unseren Essensrationen vom Rücksitz.
»Hi, Mili… Hi, Brent«, sagte ich, als ich mich ihm näherte.
Er nickte. »Mia.«
»Sind Sie seit heute Morgen hier?«
»Ich bin mittags nach Hause, um mir ein Sandwich zu machen, aber anschließend sofort zurückgekommen.«
»Wissen Sie, als ich Sie gebeten habe, ein Auge auf unser Haus zu werfen, wollte ich Sie nicht als permanenten Wachposten rekrutieren. Wenn Sie etwas anderes zu tun haben …«
»Ich habe den Jungen mit der Brille gesehen, der Ihr Haus beobachtet hat.«
»Sind Sie sicher, dass er es war?« Die Worte blieben mir im Hals stecken. Ich musste sie heraushusten.
»Ein Junge etwa in Ihrem Alter, ist noch keine Viertelstunde her. Als er mich sah, wurde er richtig nervös und ging wieder weg. Er hatte eine Brille
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