Die Auserwählte
Gummibänder lagen. In einem der kleinen Fächer lagen zwei Schlüssel. Ich sprach ein stummes Dankesgebet.
Jeder der beiden Schlüssel öffnete die Schubladen auf einer Seite des Schreibtisches. Da waren verschiedene Bündel unbenutzter Briefumschläge, ein Kasten mit Schreibmaschinenpapier und eine Pappmappe mit Kohlepapier; in einer tieferen Schublade befanden sich weitere Pappordner, vollgestopft mit Briefen, und in einer zweiten Schublade entdeckte ich ein vielversprechend aussehendes Bündel loser Blätter. Ich stellte die Kerze auf der Schreibmaschinenhaube ab und machte mich daran, die verschiedene Papiere und Ordner durchzusehen.
Schritte. Auf der Treppe von oben.
Ich erstarrte. Augenblicklich erkannte ich, daß ich eine Schublade nach der anderen öffnen und sie nicht alle aufmachen und ausräumen hätte sollen. In hektischer Verzweiflung machte ich mich daran, die Ordner und Papiere in ihre hoffentlich richtigen Schubladen zurückzulegen, während meine Hände zitterten und sich mir der Magen zusammenzog.
Jemand war an der Tür. Ich schob die Schubladen so schnell ich es wagte zu, während ich mich im Geiste abermals mit wüsten Beschimpfungen überhäufte. Eine Schublade verkeilte sich. Ich zog sie wieder heraus und schob sie von neuem in einem etwas anderen Winkel zu. Ich zitterte wie Espenlaub.
Ich hörte einen Schlüssel im Schloß. Ich griff mir panisch den Kerzenstumpen von der Schreibmaschinenhaube; die Flamme flackerte und wäre beinahe ausgegangen. Heißes Wachs schwappte über meine Finger. Fast hätte ich laut aufgeschrien.
Der Türgriff quietschte. Ich eilte mit zwei langen Schritte zum nahegelegensten Alkovenfenster, schlüpfte hinter die Vorhänge und blies die Kerze aus, während sich im selben Moment knarrend die Tür öffnete.
Ich streckte meine Hand aus, um die wallenden Vorhänge festzuhalten, und dabei entdeckte ich – als ich ein Licht ins Büro kommen sah –, daß ich einen kleinen Spalt zwischen den Vorhängen offengelassen hatte, als ich mich zwischen ihnen hindurchgeschoben hatte. Ich starrte voller Entsetzen auf den Spalt, wagte nicht, ihn richtig zu schließen, aus Angst, die Bewegung könnte von der Person bemerkt werden, die zum Nachschauen ins Büro gekommen war (Warum war der oder die Betreffende hergekommen? Hatte ich ein Geräusch gemacht? Gab es irgendeinen lautlosen Alarm, von dem ich noch nichts gehört hatte?). Ich klammerte mich an den Vorhang, und das Wachs auf meinen Fingern erkaltete und wurde hart, während es schien, als ob meine Knie genau das Gegenteil taten, beinahe wie zum Ausgleich.
Durch den fingerbreiten Spalt zwischen den Vorhängen sah ich Allan in den Raum kommen, in der Hand eine kleine Paraffinlampe. Er trug dieselbe schlichte Robe wie vorhin und dazu Pantoffeln. Er schloß die Tür hinter sich ab und ging gähnend zum Schreibtisch. Ich entspannte mich wieder ein wenig, er schien nicht hergekommen zu sein, weil er etwas gehört hatte. Ich ließ vorsichtig den Vorhang los und trat ein Stück zurück, damit mein Gesicht noch weiter von dem Lampenlicht entfernt war, das durch den Spalt zwischen den Vorhängen fiel. Hinter mir spürte ich die kalte Fensterscheibe. Ich konnte Allan immer noch sehen; er tastete nach einer kleinen Kette an seinem Hals, zog sie hervor und streifte sie sich über den Kopf, dann ergriff er etwas Kleines, das daran hing, und bückte sich zur obersten Schublade seines großen Schreibtisches vor dem Kamin. Es muß ein Schlüssel gewesen sein. Er öffnete die Schublade und holte etwas heraus, das wie ein elektronischer Taschenrechner oder die Fernbedienung eines Fernsehgeräts anmutete. Er gähnte abermals und ging auf die Tür des Abstellraums zu, durch die ich hereingekommen war. Dann blieb er mit einem Mal stehen, drehte sich um und sah mich beinahe direkt an, die Stirn gerunzelt. Ich dachte, ich würde ohnmächtig werden. Er krauste schnüffelnd die Nase.
Das Streichholz! schoß es mir durch den Sinn. Das Streichholz, mit dem ich die Kerze angezündet hatte; Allan hatte den verräterischen Schwefelgeruch bemerkt! Eiswasser lief durch meine Adern. Allan schnüffelte abermals, blickte auf den Kamin, dann glättete sich seine Stirn wieder, und er schüttelte den Kopf. Er ging in den Abstellraum und schloß die Tür hinter sich. Ich atmete aus, schier trunken vor Erleichterung. Und ich hatte sogar daran gedacht, das Fenster im Abstellraum wieder zu schließen, auch wenn ich es nicht verriegelt hatte. Ich wischte mir den
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