Die Auserwählte
recht zufrieden mit mir.
Als ich zum Torweg kam, hörte ich, wie sich eine Tür schloß, und dann das Geräusch von Schritten hinter mir. Ich schaute über meine Schulter und sah, wie Allan aus dem Herrenhaus trat und dann über den Hof eilte.
Kapitel
Neunzehn
»Also, Isis, ich meine, so wie die Dinge liegen und natürlich immer im Hinblick auf dein Wohl, da dachte ich, du möchtest vielleicht mitkommen und eine Weile bei mir in Spayedthwaite wohnen. Was hältst du davon?«
»Hmm.« Ich schlug die Beine übereinander. Wir waren wieder im Büro: Allan, Erin, Onkel Mo und ich. Es war spät, und die Lampen brannten. Man hatte mich durch Schwester Bernadette aus meinem Zimmer herbeizitieren lassen.
»Du wirst es dir natürlich wohl erst einmal durch den Kopf gehen lassen müssen«, sagte Allan. »Aber wenn du dich entschließen solltest, Onkel Mos Angebot anzunehmen, nun, dann könntest du natürlich jederzeit zurückkommen. Ich denke, wir können gerade noch das Geld für eine Rückfahrkarte aufbringen.« Er lächelte.
»Ja, ich verstehe«, erwiderte ich.
Ich gab nur vor, darüber nachzudenken. Ich hatte mir schon gedacht, warum Onkel Mo hier war, hatte Vermutungen darüber angestellt, was man mir vorschlagen würde, hatte überlegt, was ich tun sollte, und wußte daher nun schon, was ich antworten würde.
»Ich habe einen Freund in Spayedthwaite, der ein Theater besitzt«, sagte Onkel Mo.
»Wirklich?« sagte ich. »Ein Theater?«
»Ja, ja; ein Theater«, erwiderte Onkel Mo. »Nun, später wurde es zu einem Kino umgebaut.«
»Ach so.«
»Heutzutage wird es hauptsächlich fürs Bingo-Spielen benutzt. Ausschließlich, um genau zu sein«, gestand Onkel Mo, dann hellte sich seine Miene auf. »Aber es gibt dort eine Orgel. Ein ganz ausgezeichnetes Instrument, möchte ich sagen, hinter der Leinwand. Ich habe gehört, du würdest dich fürs Orgelspielen interessieren, Isis.«
Ich lächelte nur und sagte abermals: »Hmm.«
Offensichtlich in der Annahme, er hätte noch nicht genügend Anreize ins Feld geführt, um mich zu überzeugen, ihn nach Spayedthwaite zu begleiten, schnippte Onkel Mo mit den Fingern und zog theatralisch die Augenbrauen hoch. »Ich habe einen anderen Freund, einen Kollegen, der ebenfalls eine Orgel besitzt, bei sich zu Hause!« erklärte er.
»Ach wirklich?« sagte ich.
»Ja, sie steht frei im Raum und hat zwei Manuale.«
»Zwei? Du meine Güte.«
»Ja, ja.«
»Vielleicht möchte Isis lieber hierbleiben«, gab Erin zu bedenken und klopfte ihren Haarknoten ab, als hätte es auch nur eine einzelne Strähne gewagt, sich daraus zu lösen.
»Nun«, sagte Allan, »ja, das könnte sie. Natürlich. Natürlich.« Er legte die Fingerspitzen gegeneinander, hob die Zeigefinger an den Mund und tippte sich damit gegen die Lippen. Er nickte. »Zweifellos.«
Ich hatte viele Jahre zuvor gelernt, sehr genau auf Allans Wortwahl und Körpersprache zu achten, und ich hatte, wenn überhaupt, nur sehr selten ein so entschiedenes Nein bei ihm erlebt. Es ging mir mit einem Mal durch den Sinn, daß mein Bruder vermutlich selbst »Hallo« mit einem Unterton der Endgültigkeit sagen könnte.
»Das ist wahr«, fuhr er fort und streckte seine Hand zu Erin aus. »Andererseits…« sagte er und streckte auch die andere Hand aus. »Salvador scheint… doch sehr verärgert über Is. So sehr, daß er sie nicht einmal mehr sehen will, wie leider gesagt werden muß.« Er lächelte mich mitfühlend an. »Nun, da er so viel Zeit in seinen Gemächern verbringt, wäre das kein größeres Hindernis, aber wenn er doch einmal eine Versammlung abhalten oder das Brot mit uns brechen möchte, dann ergibt sich natürlich ein Problem, und wir müßten Isis bitten, sich fernzuhalten, und er würde natürlich wissen, daß wir sie gebeten haben, sich fernzuhalten, und das… würde ihn sicher sehr aufregen. Gleichermaßen könnte er sich sogar in seinen Gemächern eingesperrt fühlen… wenn man es so ausdrücken will… die er dann vielleicht nicht verlassen möchte, weil er befürchtet, er könne zufällig mit Is zusammentreffen, und so würde er immer wieder an das, was geschehen ist, erinnert werden…« Ein weiterer Blick in meine Richtung. »Das wäre offensichtlich nicht gut. Also…« Allan legte abermals die Fingerspitzen gegeneinander und betrachtete die Decke. »… also spricht in der Tat einiges dafür, daß es das beste wäre, wenn Isis für kurze Zeit weggehen würde, damit Salvador sich wieder etwas beruhigen
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