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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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sein.«
    »Den was?«
    »Den Rutschen.«
    Ich runzelte die Stirn. »Sind das nicht Spielgeräte für Kinder?«
    »Ursprünglich ja, Is. Gott, ihr lebt da oben wirklich hinter dem Mond, was?«
    »Und wir sind stolz darauf«, erklärte ich und fühlte mich zum erstenmal seit Tagen wieder in Hochstimmung.
    »Nichts hat sich verändert«, seufzte Morag. »Oh, und hör zu, du wirst in der Zwischenzeit kein Sterbenswörtchen zu Allan sagen, oder?«
    »Ganz sicher nicht.«
    »Gut. Ich auch nicht. Also bis morgen.«
    »Ja. Bis morgen. Ciao, Cousinchen.«
    »Ciao.« In der Leitung klickte es.
    Ich legte den Hörer auf und grinste Sophi an. Ich ergriff ihre Hände und beobachtete mit Freude, wie nach und nach alle Spuren der Sorge und des Zweifels aus ihrem Gesicht schwanden und an ihrer Stelle ein wunderschönes Lächeln erblühte, das genau ausdrückte, was ich empfand.
    Ich lachte leise. »Licht am Ende des Tunnels«, sagte ich.

 
Kapitel
Zwanzig
     
     
    »Es sind Träume, verstehst du, Isis, Träume.« Onkel Mo trank einen weiteren Schluck aus seinem kleinen Plastikbecher und nickte, während er auf das Gras, die Klippen und das Meer schaute, die an unserem Fenster vorbeisausten. »Träume können was Schreckliches sein. O ja. Schrecklich, einfach schrecklich.«
    »Ich dachte, dann würde man sie Alpträume nennen«, bemerkte ich.
    Onkel Mo lachte freudlos und beugte sich über den Tisch, um meinen Unterarm zu tätscheln. »Ach, Isis, Gott segne dich, Kind, du bist noch so jung. Für dich ist alles so klar und einfach, aber ich habe diese Klarheit verloren. Das ist es, was das Leben, die Träume, mit einem machen. Ich«, er tippte gegen seine Weste, »ich bin noch nicht alt; ich bin noch kein alter Mann. Ich stehe in der Mitte des Lebens. Aber ich habe lange genug gelebt, um die Erinnerungen eines alten Mannes zu besitzen. Wenn es danach ginge, wäre ich alt. Ach, Träume.«
    »Ich verstehe«, sagte ich, doch ich verstand gar nichts.
    Der Zug schoß um eine enge Kurve, so daß wir auf den Ausblick aus roten Klippen und zerklüfteten Felsen und träger See zukippten. Am hellblauen Horizont prangte ein grauer Fels, ein Schiff. Der Himmel war mit pastellfarbenen Wolken bedeckt.
    Wir saßen im 11-Uhr-Zug von Edinburgh nach King’s Cross in London und wollten in York in Richtung Manchester umsteigen. Ich sollte Morag um drei in Edinburgh treffen, und im Moment hielt ich geradewegs auf den Süden Englands zu und entfernte mich von Minute zu Minute weiter von meiner Cousine. Ich hatte ernsthaft überlegt, Onkel Mo im Bahnhof Waverley auszubüchsen, sogar einen Plan zu diesem Zwecke ersonnen, aber dann hatte ich es mir anders überlegt. Ich hatte jetzt einen anderen Plan. Zeitlich konnte es etwas knapp werden, und es gab auch keine Garantie, daß es klappen würde, aber ich fand, daß es die Mühe und das Risiko wert sei.
    »Träume«, sagte Onkel Mo; er schraubte den Verschluß einer weiteren Miniaturflasche Wodka auf und kippte den Inhalt des Fläschchens in seinen Plastikbecher. Er fügte etwas Sodawasser aus einer größeren Flasche hinzu, wobei er die ganze Zeit über den Kopf im Takt mit der Miniaturflasche schüttelte, um ihr auch noch die letzten Tropfen zu entlocken. »Träume… Träume von Ruhm, Träume von Erfolg… sind schrecklich, geliebte Nichte, weil sie sich manchmal erfüllen, und das ist das Furchtbarste, was einem Mann passieren kann.«
    »Oh«, sagte ich. »Diese Art Träume. Ich dachte, du würdest die Träume meinen, die man in Schlaf hat.«
    »Die auch, liebes Kind«, erwiderte Onkel Mo und lehnte sich müde in seinem Sitz zurück. Wir hatten ein Vier-Personen-Abteil auf der Ostseite des Zuges für uns allein. Ich hockte natürlich auf meinem Sitzbrett, noch immer in der Lederhose, die mir langsam richtig ans Herz wuchs, und der Jacke, die Oma Yolanda mir gekauft hatte. Onkel Mo war sehr elegant in einen dreiteiligen Anzug mit schicker Krawatte gekleidet, und sein Kamelhaarmantel lag sorgsam mit dem Futter nach außen zusammengefaltet auf der Gepäckablage über ihm. Onkel Mo benutzte kein Sitzbrett, da er behauptete, ein Leiden zu haben, aufgrund dessen er nicht hart sitzen konnte, und darüber hinaus war er jetzt Moslem und hatte schon genug damit zu tun, immer daran zu denken, seinen Gebetsteppich mitzunehmen. Ich hatte mir erlaubt zu bemerken, daß Moslems das Trinken von Alkohol untersagt wäre.
    »Das ist was anderes«, hatte er erwidert. »Ich war Luskentyrianer, dann Alkoholiker, dann Moslem,

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