Die Auserwählte
saß auf einem harten Holzstuhl, den Mr. W für mich aus der Küche geholt hatte, während er selbst es sich in einem Sessel bequem machte (weiche Polster sind uns verboten). Dies war erst das dritte Mal in ebenso vielen Monaten, daß ich das Haus der Warristons besuchte, obwohl ich bereits an jenem ersten Tag, als ich für Mr. W gespielt hatte, und seither wiederholt dazu eingeladen worden war.
Mr. Warriston machte ein nachdenkliches Gesicht. »Es klang irgendwie… nach Vivaldi, am Anfang, fand ich.«
»Er war Priester, nicht wahr?«
»Ja, er hat ursprünglich die Weihen empfangen, glaube ich.«
»Gut.«
»Hast du schon mal seine ›Vier Jahreszeiten‹ gehört?« fragte Mr. W. »Ich könnte die CD auflegen.«
Ich zauderte. Eigentlich sollte ich keinem derart hochkomplizierten Gerät wie einem CD-Spieler lauschen; die Lehren meines Großvaters, was die Unannehmbarkeit solcher Medien anging, waren eindeutig. Ein aufziehbares Grammophon war gerade eben noch akzeptabel, wenn jemand klassische oder religiöse Musik darauf spielte, aber selbst ein Radio gilt schon als unheilig (zumindest, wenn es zur allgemeinen Unterhaltung benutzt wird; wir besitzen ein uraltes Röhrengerät zum Zwecke der Ätherologie, und nach dem Umzug aus Luskentyre haben die beiden Zweige der Gemeinschaft über Jahre hinweg mittels Kurzwellenübertragung Kontakt miteinander gehalten).
Während ich noch zögerte, stand Mr. Warriston mit den Worten »Ich werde sie dir mal vorspielen« auf und ging zu dem schwarzen Turm der Hifi-Anlage, der kompakt und kompliziert aussehend auf einem Schränkchen in einer Ecke des Zimmers aufragte. Mr. W öffnete eine Schublade unter dem Gerät und holte eine Plastikhülle heraus. Ich schaute gebannt zu, obwohl ich gleichzeitig bemerkte, daß ich die Zähne verkrampft zusammengebissen hatte, voller Unbehagen in der Gegenwart solcher Technologie.
Ein unvermitteltes Geräusch in der Diele ließ mich erschreckt zusammenfahren. Meine Tasse klapperte auf ihrer Untertasse.
Mr. Warriston drehte sich schmunzelnd um. »Das ist nur das Telefon, Is«, erklärte er freundlich.
»Ich weiß!« erwiderte ich hastig.
»Bitte entschuldige mich einen Moment.« Mr. W legte die Plastikhülle auf den CD-Spieler und ging hinaus in die Diele.
Ich war wütend über mich, weil ich rot geworden war. Ich weiß mit jeder Faser meines Wesens, daß ich die Auserwählte Gottes bin, aber manchmal führe ich mich wie ein verwirrtes Kind auf, wenn ich mit den Taschenspielertricks der modernen Welt konfrontiert werde. Nichtsdestotrotz; solche Augenblicke verleihen Demut, sagte ich mir abermals. Ich knabberte an dem Keks, der meinen Tee auf der Untertasse begleitet hatte, und schaute mich im Zimmer um.
Für die Erretteten besitzen die Opulenz und der Tand, mit denen sich jene umgeben, die wir die Seichten nennen (neben etlichen anderen Bezeichnungen, die wir aber nur selten verwenden und wenn sie außer Hörweite sind), eine unausweichliche Faszination. Hier war ein Zimmer mit makellos hellen Tapeten, ausladenden, weich gepolsterten Sitzmöbeln, die fähig schienen, einen zu verschlucken, einem Teppich, der anmutete, als wäre er gegossen worden – er erstreckte sich anscheinend ohne Saum oder Naht in die Diele und das Badezimmer und hörte erst an der Schwelle der gefliesten, blitzblanken Küche auf – und einem einzelnen riesigen Fenster, das aus zwei Glasscheiben gemacht war und das Rattern eines vorbeifahrenden Zuges zu einem leisen Flüstern dämpfte, wenngleich es draußen wie Donnerhall dröhnte. Das ganze Haus roch sauber und klinisch und künstlich. Ich konnte etwas herausriechen, das Deodorant-, Rasierwasser-, Parfüm- oder schlicht Waschpulverdämpfe sein mochten.
(Die meisten Seichten riechen für unsere Nasen antiseptisch oder blumig; ob seines Alters und seiner göttlichen Erhabenheit drücken wir bei Salvador und seiner Badewanne ein Auge zu, aber es gibt bei uns einfach nicht genug Wasser – heiß oder kalt –, daß der Rest von uns öfter als einmal die Woche ein Bad nehmen könnte. Selbst wenn wir an die Reihe kommen, ist es oft nur eine Dusche, und in jedem Fall sind wir angehalten, weder Parfüm noch duftende Seifen zu benutzen. Als Folge derartiger Vorschriften und Maßregeln und der Tatsache, daß viele von uns schwere körperliche Arbeit verrichten, neigen wir dazu, recht stärk nach unseren Ausdünstungen zu riechen, eine Tatsache, die Seichte schon gelegentlich zu Bemerkungen veranlaßt hat. Natürlich wird
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