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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Feldzug irgendwann einen Punkt gibt, an dem man einfach Vertrauen haben und erkennen lassen muß, daß man Vertrauen hat. »Ich werde Großtante Zhobelia besuchen«, erklärte ich.
    Morag machte große Augen. »Wirklich? Ich dachte, sie wäre von der Bildfläche verschwunden.«
    »Ich auch. Onkel Mo war der Schlüssel.«
    »Wer hätte das gedacht? Und wie geht es ihm?«
    Ich schaute auf die Uhr an der Wand. »Er hat vermutlich einen mächtigen Kater.«

 
Kapitel
Dreiundzwanzig
     
     
    Wenn man bei einer Reise dieselbe Route wählt wie alle anderen, wird man nur sehen, was sie schon gesehen haben. Dieser Leitspruch beschrieb seit vielen Jahren die Einstellung unseres Glaubens gegenüber Reisen und dem Prinzip der Interstitialität, und daher überkam mich ein gewisses Bedauern, als ich im Geiste noch einmal den Verlauf meiner jüngsten Reisen Revue passieren ließ, während ich an jenem Abend nach meinem Treffen mit Morag und Ricky im Zug von Edinburgh nach Glasgow saß.
    Ich war schon vor längerem zu der Ansicht gelangt, daß für einen Anhänger unseres Glaubens der beste Weg von Edinburgh nach Glasgow oder umgekehrt in einem Fußmarsch entlang des alten Forth-und-Clyde-Kanals bestünde, und ich war diese Strecke im Geiste und auf Landkarten schon einige Male abgelaufen, während ich in der Gemeindebibliothek saß. Und doch fuhr ich nun in einem Zug von Osten nach Westen, just wie ein ganz gewöhnlicher Seichter. Mein einziges – und recht dürftiges – Zugeständnis an das Prinzip der Indirektheit war es gewesen, nicht den Eilzug, sondern einen langsameren Zug zu nehmen; die schnellere Route führt über Falkirk, der Bummelzug rattert weiter südlich durch Shotts. In Bellshill würde ich in den Regionalzug nach Hamilton umsteigen, so daß diese Strecke in gewisser Hinsicht sogar deprimierend direkter war. Allerdings dauerte die Fahrt auf ihr länger, als wenn man geradewegs nach Glasgow fuhr und dort umstieg, was ein gewisser Ausgleich für das Prosaische dieser Fortbewegungsmethode war.
    Morag und Ricky hatten mich zum Abendessen eingeladen; sie wollten an jenem Abend in einem indischen Restaurant speisen. Die Versuchung war schon sehr groß gewesen, doch schließlich hatte ich es für das beste gehalten, mich ohne weitere Verzögerung auf den Weg nach Mauchtie zu begeben, in der Hoffnung, noch an jenem Abend Gelegenheit zu einer Audienz bei Großtante Zhobelia zu erhalten. Morag und ich hatten uns mit einer Umarmung am Bahnhof Waverley voneinander verabschiedet; Ricky hatte mir widerwillig, doch sanft die Hand geschüttelt. Morag hatte mich gefragt, ob ich Geld bräuchte; ich hatte kurz überlegt.
    Zu Beginn – an jenem Montag vor beinahe vierzehn Tagen, im Gemeindebüro, um genau zu sein – hatte ich entschieden, daß neunundzwanzig Pfund eine gesegnete und mehr als ausreichende Reisekasse darstellten, doch das war gewesen, bevor ich erkannt hatte, daß ich gegen einen Bruder anzutreten hatte, der bereit war, mitten im Herzen der Gemeinde etwas nach all unseren Prinzipien so Arglistiges und Empörendes wie ein tragbares Telefon zu benutzen, und ich hatte mir ganz sicher nie Illusionen bezüglich der Bedeutung ausreichender Finanzmittel in dieser grausam habsüchtigen Gesellschaft gemacht. Ich hatte Morag erklärt, daß ich ihr für ein Darlehen von neunundzwanzig Pfund dankbar wäre. Morag hatte gelacht, hatte das Geld aber ausgespuckt.
    Die Zugfahrt durch die sonnengesprenkelte Landschaft aus bunten Feldern, Kleinstädten, Industrieruinen, weit entfernten Wäldern und noch weiter entfernt liegenden Hügeln war meine erste Gelegenheit, eingehend über das nachzudenken, was in den letzten zwei Tagen geschehen war. Zuvor hatte ich noch unter Schock gestanden, oder ich war mit Leuten zusammen gewesen, oder ich hatte – auf der Rückfahrt von Newcastle – im Geiste geprobt, was ich zu Morag sagen würde, hatte den Verlauf unserer Unterhaltung vorausgeplant, besonders für den Fall, daß Morag wieder in ihr Mißtrauen zurückverfallen wäre. Vor mir lag zwar noch ein ähnliches Gespräch mit meiner Großtante, aber dessen Verlauf war so unvorhersehbar, daß es wenig Sinn ergab, deshalb in Grübelei zu verfallen, und so konnte ich endlich innehalten und nachdenken.
    Ich ließ noch einmal meine eigenen Handlungen Revue passieren. Ich hatte gestohlen, gelogen, betrogen, geheuchelt und Einbruch begangen, ich hatte die Schwäche eines Verwandten ausgenutzt, um ihm Informationen zu entlocken, ich hatte seit zwei

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