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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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streckte meine Hand vor, bis ich schließlich Zhobelias Hand fand. Sie fühlte sich warm und klein an. Die Haut war locker und sehr weich und glatt.
    »Oh«, flüsterte sie. »Du fühlst dich warm an!«
    »Siehst du? Ich bin kein Geist.«
    »Ja. Ich sehe. Du bist also kein Geist, ja?«
    »Nein, es gibt mich wirklich. Ich bin Isis.«
    »Die kleine Isis.«
    »Klein stimmt nicht mehr.« Ich richtete mich langsam auf, ohne ihre Hand loszulassen, dann ging ich wieder in die Hocke.
    »Bist du wirklich Isis?«
    »Ja, Isis Whit. Ich wurde am neunundzwanzigsten Februar neunzehnhundertsechsundsiebzig geboren. Meine Mutter war Alice Cristofiori, mein Vater war Christopher Whit. Der Vorname meines Bruders ist Allan. Du bist meine Großtante Zhobelia Asis; deine Schwester war Aasni, die…« Ich hatte sagen wollen: »Die in demselben Feuer starb, in dem auch meine Eltern umkamen«, doch ich entschied mich dagegen und sagte statt dessen nach kurzem Zögern: »… die meine Großmutter väterlicherseits war.«
    Sie schwieg.
    »Glaubst du mir jetzt?« fragte ich und drückte sanft ihre Hand.
    »Ich denke schon. Warum bist du hergekommen? Haben sie dich auch fortgeschickt? Ich dachte, hier würde man nur alte Leute herschicken?«
    »Nun, ja, ich denke, man könnte sagen, daß man mich fortgeschickt hat, aber nicht hierher. Ich bin hergekommen, um dich zu besuchen.«
    »Ach, wirklich? Das ist sehr nett von dir. Mohammed kommt mich manchmal besuchen, aber nicht sehr oft. Er trinkt, mußt du wissen. Die Mädchen waren hier; Calli und Astar. Und die aus Glasgow; sie reden in der alten Sprache. Gewöhnlich kann ich sie nicht verstehen. Ich sage ihnen immer wieder, sie sollen langsamer sprechen, aber sie hören einfach nicht. Leute hören nie richtig zu, mußt du wissen. Besonders junge Leute.«
    »Ich höre dir zu, Großtante.«
    »Tust du das? Du bist ein liebes Mädchen. Du warst schon als Baby sehr lieb; hast kaum geweint, wußtest du das?«
    »Andere Leute haben – «
    »Bist du wirklich Isis?«
    »Ja, Großtante.«
    Sie schwieg eine Weile. »Ich habe versäumt, dich aufwachsen zu sehen«, sagte sie, jedoch ohne eindeutige Emotion, es sei denn eine leichte Verblüffung. Ich wünschte, ich hätte ihr Gesicht sehen können.
    »Es hat mir leid getan, daß du fortgegangen bist«, erklärte ich ihr. »Ich glaube, es ist uns allen so gegangen.«
    »Ich weiß. Vielleicht hätte ich es nicht tun sollen. Es ist schon seltsam, so mit dir zu reden. Wie siehst du aus? Sollen wir mal das Licht anmachen?«
    »Wird denn die Krankenschwester nicht sehen, wenn das Licht brennt?«
    »Ja. Sie kann es unter der Tür durchscheinen sehen.«
    »Ich habe eine Idee«, sagte ich und tätschelte ihre Hand.
    Zhobelias Kleider lagen ordentlich auf dem Bett, unter dem ich mich versteckt hatte. Ich legte sie auf die Kommode und zog die Tagesdecke vom Bett, rollte sie zusammen und legte sie quer vor die Tür.
    »Na also«, sagte Zhobelia schnaufend. Es klickte, und eine kleine, gelbe, elektrische Leuchte ging über dem Bett an. Ich richtete mich auf und lächelte meine Großtante an. Sie setzte sich blinzelnd im Bett auf. Ihr Nachthemd war hellblau, mit kleinen gelben Blumen. Sie wirkte im Gesicht etwas aufgedunsen und blaß, nicht so asiatisch dunkel, wie ich sie erinnerte. Ihr Haar war kraus, recht lang und noch immer erstaunlich schwarz, wenn auch mit dicken weißen Locken durchsetzt. Sie tastete auf ihrem Nachttisch umher und fand ihre Brille. Sie setzte sie auf und sah mich neugierig an.
    Das Zimmer begann, sich um mich herum zu drehen, als mich abermals jenes nunmehr halbvertraute Schwindelgefühl übermannte, welches ich schon von früheren Gelegenheiten kannte.
    Zhobelia schien es nicht zu bemerken. »Du siehst aus wie deine Mutter«, sagte sie leise und nickte. Sie klopfte auf das Bett. »Komm, setz dich her.«
    Ich trat mit zitternden Knien vor und setzte mich aufs Bett; wir faßten uns an den Händen.
    »Warum bist du fortgegangen, Großtante?«
    »Ach, weil ich nicht bleiben konnte.«
    »Aber warum?«
    »Es war das Feuer.«
    »Das war schrecklich, ich weiß, aber – «
    »Kannst du dich daran erinnern?«
    »Nicht wirklich. Ich erinnere mich an das Danach; die Ruine des Herrenhauses. Es ist jetzt wieder neu aufgebaut.«
    »Ja, ich weiß.« Sie nickte blinzelnd. »Gut. Das freut mich.«
    »Aber warum bist du fortgegangen, hinterher?«
    »Ich hatte Angst, die Leute würden mir die Schuld geben. Ich hatte Angst vor Aasnis Geist. Außerdem war meine

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