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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Zehnpfundnote von der Royal Scottish Linen Bank. Sie war mit Juli 1948 datiert. Ich betrachtete sie eingehend, drehte sie um, roch daran. Muffig.
    Zhobelia tätschelte abermals mein Knie. Nachdem sie so meine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, zwinkerte sie mir theatralisch zu und reichte mit das kleine braune Buch.
    Ich legte die Banknote auf meinem Knie neben der Fotografie von Großvater ab.
    Das kleine braune Buch war ausgeblichen und abgewetzt und sehr alt. Es hatte sich auch verzogen, so als ob es sich einmal mit Wasser vollgesogen hätte. Vorn auf dem Umschlag prangte das königlich britische Wappen. Eigentlich waren es nur zwei Pappstücke, ein dünneres, das in den anderen, dickeren Pappdeckel lose eingelegt war. Auf dem inneren Pappstück befand sich eine Liste mit Daten und Summen, ausgedrückt in Pfund, Shillingen und Pence. Das letzte Datum war im August 1948. Oben auf der Pappkarte stand AB 64 Teil Zwei. Ich legte das kleine Buch aufs Bett. Es schien eine Art Soldbuch zu sein. Es gehörte jemandem namens Black, Moray, Rang: Gefreiter. Dienstnummer 954.024. Er war 177 cm groß, wog 72 Kilo und hatte dunkelbraunes Haar. Keine besonderen Kennzeichen. Geboren 29.2.20.
    Der Rest war eine Beschreibung der Impfungen, die er erhalten hatte, sowie anscheinend eine Auflistung von Militärstrafen: Bußgelder, Arrest und Urlaubssperren. Vielleicht lag es nur an der Müdigkeit, daß ich nicht über das Geburtsdatum stolperte, denn ich dachte nur bei mir, daß ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie all dies in das Puzzle passen sollte. Doch dann schaute ich von dem Buch auf das Foto von meinem Großvater als junger Mann, das noch immer auf meinem Knie lag.
    Die Welt kippte abermals unter meinen Füßen weg, und in meinem Kopf drehte sich alles. Ich spürte, wie mir die Sinne schwanden, mir war schwindelig und übel. Ein eisiges Frösteln schüttelte mich, während meine Handflächen von kaltem Schweiß kribbelten und mein Mund mit einem Schlag wie ausgetrocknet war. Mein Gott. War das möglich? Größe, Gewicht, Haarfarbe. Natürlich wäre die Narbe noch nicht da gewesen… und dann noch das Geburtsdatum, als krönender Abschluß.
    Ich blickte in die Augen meiner Großtante. Ich mußte mehrere Male schlucken, bevor ich genügend Speichel in meinem Mund hatte, um überhaupt sprechen zu können. Meine Hände begannen zu zittern. Ich legte sie auf meine Schenkel, während ich Zhobelia fragte: »Ist er das?« Ich hielt das kleine braune Buch hoch. »Ist das mein Großvater?«
    »Ich weiß es nicht, mein Kind. Wir haben es in seiner Jacke gefunden. Das Geld lag am Strand. Aasni hat es gefunden.«
    »Das Geld?« krächzte ich.
    »Das Geld«, sagte Zhobelia. »In dem Rupfenbeutel. Wir haben es gezählt.«
    »Ihr habt es gezählt.«
    »O ja, es waren zweitausendneunhundert Pfund.« Sie seufzte. »Aber jetzt ist es natürlich alles weg.« Sie schaute auf die Zehnpfundnote auf meinem Knie. »Wir haben den Rest verbrannt, in dem Rupfenbeutel.« Sie deutete mit einem Nicken auf die weiße Zehnpfundnote auf meinem Bein. »Das ist alles, was noch davon übrig ist.«

 
Kapitel
Fünfundzwanzig
     
     
    Ich saß mit meiner Großtante da, fügte nach und nach alle Puzzlestücke zusammen, ging alles immer wieder aus verschiedenen Blickwinkeln ihrer Erinnerung durch. Die Geschichte, wie mein Großvater in der Nacht des Unwetters auf dem sandigen Boden vor dem fahrbaren Krämerladen in Luskentyre gefunden worden war, entsprach der Wahrheit, aber was man uns nie erzählt hatte, war die Tatsache, daß die Schwestern in der Jacke, die er trug, ein Soldbuch gefunden hatten.
    Sie hatten auch die Tatsache verschwiegen, daß Aasni am nächsten Tag, nach dem Unwetter, am Strand von Luskentyre entlanggegangen war und eine Segeltuch-Reisetasche mit Reißverschluß gefunden hatte, die auf dem Sand angespült worden war. Die Tasche enthielt ein Paar brauner Lederschuhe, durchgeweicht vom Meerwasser, und einen Geldsack, in dem sich zweihundertneunzig Zehnpfundnoten befanden, alle von der Royal Scottish Linen Bank.
    Die beiden Schwestern fragten sich, ob es vielleicht während des Unwetters ein Schiffsunglück gegeben hätte und Großvater und das Geld von dem gekenterten Schiff angespült worden seien, doch als sie sich bei Mr. McIlone und einigen anderen Einheimischen danach erkundigten, hatte niemand etwas von einem Schiff gehört, das in jener Nacht vor Harris untergegangen war.
    Mein Großvater war nicht in der Verfassung gewesen, all

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