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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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das Gloamings-Pflegeheim in Mauchtie gewesen.
    »Sie kommen mich besuchen, aber sie reden zu schnell«, erklärte Zhobelia mir. »Calli und Astar waren auch hier, aber sie sind sehr still. Ich glaube, es ist ihnen peinlich. Der Junge kommt nicht sehr oft her. Nicht, daß es mich kümmert. Er stinkt nach Schnaps, hab ich dir das schon erzählt?«
    »Ja, Großtante«, sagte ich und drückte ihre Hand. »Ja, das hast du. Hör mal – «
    »Sie kümmern sich hier um uns. Aber diese Mrs. Joshua, die ist ein Drachen. Die hat Haare auf den Zähnen!« Zhobelia schüttelte mißbilligend den Kopf. »Miss Carlisle, die hat nicht mehr alle Tassen im Schrank«, erklärte sie mir und tippte sich an die Stirn. »Nein, nein; sie kümmern sich hier um uns. Obgleich man hier im Bett liegen kann, ohne daß jemand mit einem redet. Wenn du dich in deinen Sessel setzt, ist es genau dasselbe. Die Schwestern werden hier ganz gut auf Trab gehalten. Der Besitzer ist offenkundig ein Doktor, was ganz gut ist, oder? Aber trotzdem. Fernsehen. Wir gucken hier viel fern. Im Aufenthaltsraum. Jede Menge junge Australier. Empörend.«
    »Großtante?« sagte ich, denn mir wollte etwas, was Zhobelia erwähnt hatte, einfach nicht aus dem Kopf gehen, und langsam kristallisierte sich eine Verbindung zu den Dingen heraus, die mich zuvor verwirrt hatten.
    »Hmm? Ja, mein Kind?«
    »Was hast du gesehen, was dich dazu brachte, das Geld zu verbrennen? Bitte; erzähl’s mir.«
    »Ich habe es dir erzählt; ich habe es gesehen. «
    »Was hast du gesehen?«
    »Ich habe gesehen, daß das Geld uns Unglück bringen würde. Es ist mir im Traum erschienen. Hat natürlich nichts geholfen, das tun diese Dinge ja selten, aber wir mußten einfach etwas unternehmen.«
    »Willst du damit sagen, du hattest eine Vision?« fragte ich verwirrt.
    »Was?« sagte Zhobelia stirnrunzelnd. »Ja, ja, eine Vision. Natürlich. Ich glaube, die Gabe ging von mir an dich über, nur daß es bei dir das Heilen ist. Schätze dich glücklich; Heilen klingt wie ein Kinderspiel verglichen mit diesen Visionen; ich war heilfroh, als sie nicht mehr kamen. Irgendwann wird es dich auch verlassen; es besitzt immer nur eine zur Zeit die Gabe. Es ist eben eine von diesen Bürden, die man im Leben tragen muß.« Sie tätschelte meine Hand.
    Ich starrte sie an, den Mund weit aufgerissen.
    »Großmutter Hadras Mutter hatte die Gabe des zweiten Gesichts, genau wie ich. Als sie starb, stellte Hadra fest, daß sie mit den Toten reden konnte. Als Hadra in der alten Heimat ihren Schlaganfall hatte, ging die Gabe an mich über, und ich fing an, Dinge zu sehen. Ich war so um die zwanzig. Dann, nach dem Feuer, hast du mit dem Heilen angefangen.« Sie lächelte. »Das war’s, verstehst du? Ich konnte fortgehen. Ich war das Ganze leid, und außerdem hätte ich ja sowieso niemandem mehr nützen können, oder? Sobald du mit dem Heilen anfingst, wußte ich, daß die Visionen aufhören würden, und ich wußte, daß sich alle um dich kümmern würden, und außerdem wußte ich, daß Aasni mir die Schuld dafür geben würde, daß ich es nicht richtig gesehen hatte, so daß sie ums Leben gekommen war; in der Beziehung war sie eine richtige Nervensäge, und sie hat mir ständig in den Ohren gelegen, ich solle die Gabe mit mehr Respekt behandeln; hat gesagt, es wäre besser gewesen, wenn sie die Visionen gehabt hätte, aber sie hatte sie nun einmal nicht; ich hatte sie.«
    Ich weiß nicht, wie lange der nächste Augenblick dauerte. Lang genug, daß ich bemerkte, wie Großtante Zhobelia mir die Wange tätschelte und mir besorgt in die Augen sah.
    »Ist mit dir alles in Ordnung, Kind?«
    Ich versuchte zu sprechen, konnte es aber nicht. Ich hustete und stellte fest, daß mein Mund und meine Kehle ausgetrocknet waren. Tränen schossen mir in die Augen; ich beugte mich vornüber und hustete verkrampft, während ich versuchte, dabei so leise wie möglich zu sein. Zhobelia klopfte mir auf den Rücken, während ich mein Gesicht in die Bettdecke drückte.
    »Großtante«, stammelte ich schließlich und wischte mir die Augen ab, während ich noch immer nach jedem zweiten Wort trocken schlucken mußte. »Willst du damit sagen, daß du die Visionen hattest, nicht Großvater; daß du es warst, die – «
    »Das Feuer gesehen hat; ich sah ein Unglück dräuen, wegen des Geldes. Ich wußte nicht, daß es ein Feuer sein würde, aber ich wußte, daß es ein Unglück geben würde. Das war das letzte, was ich sah. Vorher, ach, da habe ich

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