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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Opulenz des Gebäudes traf mich völlig unvorbereitet; ich vermute, ich hatte bei dem Wort »Wohnung« immer an einen Sozialbau oder sogar Slums gedacht und daher angenommen, daß Morag während ihres Aufenthalts in London mit beengten Verhältnissen vorlieb nahm, um Geld zu sparen. Doch nach der Größe der neben dem Haus parkenden Autos sowie dem allgemeinen Aussehen der Anlage zu urteilen, war dies keine Mietskaserne für die Armen.
    Marmorstufen führten zu einer doppelflügeligen Glastür hinauf, durch die man eine mit Sofas und Topfpflanzen ausgestattete Eingangshalle sehen konnte. Ich rüttelte an den Türgriffen, aber die Tür schien abgeschlossen.
    »Penner«, sagte Bruder Zebediah. »Hält sie ab.« Er betrachtete eine Art Konsole in der Marmorwand, die aus kleinen Kästchen mit Knöpfen und winzigen beleuchteten Schildern bestand. Daneben war ein Gitterrost angebracht. »Nummer?« fragte er.
    »Fünfunddreißig«, antwortete ich. Er fuhr mit dem Finger an den kleinen Plastikfenstern entlang. Seine Fingernägel waren lang und schmutzig. Ich nahm jedoch davon Abstand, eine diesbezügliche Bemerkung zu machen.
    »Hier«, sagte er. »Fünfunddreißig. Steht. Mr. Mrs. Coyle.« Er drückte den Knopf.
    »… Ja?« meldete sich nach kurzer Verzögerung eine Frauenstimme aus dem Gitterrost.
    »Entschuldige bitte, Bruder«, sagte ich zu Zeb und nahm seinen Platz ein. »Guten Morgen, Madam«, sprach ich in den Gitterrost. »Es tut mir leid, Sie zu stören, aber ich bin auf der Suche nach Ms. Morag Whit, der international gefeierten Baryton-Solistin.«
    »… Wie bitte?«
    »Morag Whit, die international gefeierte Baryton-Solistin«, wiederholte ich. »Sie ist meine Cousine. Wohnt sie noch immer hier? Dies ist die letzte Adresse, die wir von ihr haben.«
    »Nein. Tut mir leid. Die Dame, die hier gewohnt hat, ist vor zwei Monaten ausgezogen.«
    »Ich verstehe. Es ist nur so, daß ich ihre Cousine bin, und meine Familie würde sehr gern wissen, wie es ihr geht. Hat sie eine Nachsendeadresse hinterlassen?«
    »Eigentlich nicht. Dürfte ich fragen, wer der Gentleman da bei Ihnen ist?«
    Ich richtete mich auf und schaute – mit einer gewissen Bestürzung, wie ich gestehen muß – zu Zeb. Er deutete mit dem Kinn auf einen kleinen Kasten über unseren Köpfen, direkt hinter der Glastür.
    »Kamera«, sagte er.
    »Ach du meine Güte!« rief ich aus. »Sind wir im Fernsehen?«
    »Hausintern«, erwiderte Zeb.
    »Herrjemine!« Ich schluckte. »Ist das eine vielgesehene Sendung?« Mein Mund war mit einem Schlag trocken.
    (»… Hallo?« sagte die leise Stimme aus dem Gitterrost.)
    Zeb starrte mich verständnislos an. Dann schnitt er eine Grimasse. »Keine Fernsehsendung«, gab er gereizt zurück. »Sicherheitskameras. Für die Wohnungen. Privat.«
    Ich glaubte zu verstehen und wandte mich eilig wieder zum Grillrost. »Ich muß um Entschuldigung bitten, Madam«, sagte ich, hochrot vor Verlegenheit. »Es gab hier ein kleines Mißverständnis. Dies ist mein Halbbruder, Bruder Zebediah, ein weiterer Luskentyrianer.«
    »Wie bitte?« erwiderte die Frauenstimme. Zeb seufzte hinter mir, und ich sah aus dem Augenwinkel, wie er den Kopf schüttelte. »Ein weiterer was?«
    »Ein weiterer Luskentyrianer«, wiederholte ich und spürte, wie ich abermals errötete. Seichten derartige Dinge zu erklären konnte sehr zeitaufwendig sein. »Es ist kompliziert.«
    »Das will ich wohl glauben. Nun«, sagte die Stimme mit unverkennbarer Endgültigkeit, »es tut mir leid, aber ich kann Ihnen nicht helfen.«
    »Sie hat keine Nachsendeadresse hinterlassen?« fragte ich eindringlich. »Wir möchten uns nur vergewissern, daß sie wohlauf ist.«
    »Nun…«
    »Bitte.«
    »…Sie hat die Adresse ihres Agenten… oder Managers oder was auch immer hinterlassen, für Notfälle. Aber nur die Adresse, keine Telefon- oder Faxnummer.«
    »Das wäre wunderbar!« sagte ich. »O vielen Dank!«
    »Nun, einen Moment bitte; ich hole sie.« Ein Klicken ertönte.
    Ich drehte mich erleichtert zu Zeb um, der geistesabwesend zu den Bäumen zwischen uns und der Straße schaute. »Na also!« sagte ich und klopfte ihm begeistert auf den Rücken. Er stolperte hustend nach vorn und mußte zwei Stufen nach unten springen, bevor er sein Gleichgewicht wiedergefunden hatte. Er starrte mich wütend an.
    »… Hallo?« meldete sich die metallische Stimme aus der Wand zurück.
    *
    Unsere Rückfahrt aus Finchley war vergleichsweise einfach; wir nahmen zuerst die Northern Line in

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