Die Auserwählte
dem Klo kam, hörte ich jemanden etwas sagen wie: »… gleich kommt’s!«, und Bruder Zebediah kam, nur mit Hose und einem Amulett bekleidet, aus dem Zimmer gerannt, das er mit Roadkill teilte, schoß an mir vorbei, die Hand fest vor den Mund gepreßt, und übergab sich in die noch immer spülende Kloschüssel. Ich zögerte, blickte abwechselnd von der Toilette zur Holzleiter, die hinauf zum Dachboden führte, unsicher, ob ich meinem Halbbruder Hilfe anbieten sollte oder nicht.
Einige Augenblicke später kam Zeb wieder aus dem Klo. Er seufzte grinsend.
»Geht es dir gut, Bruder Zebediah?« erkundigte ich mich.
»Klar«, erwiderte er, und sein Grinsen wurde breiter. »Klar«, nickte er und packte mich an den Schultern, dann umarmte er mich. »Du bist wunderschön, Is«, sagte er und seufzte abermals, dann ging er lächelnd davon, zurück zu seinem Zimmer.
Ich stieg hinauf zu meiner Hängematte auf dem Dachboden, amüsiert, aber dankbar dafür, daß Zeb imstande schien, kleinere Unpäßlichkeiten so schnell zu überwinden.
Kapitel
Acht
»Was ist mit Känguruhs?«
»Känguruhs?« erwiderte ich und fragte mich, wovon Bruder Zebediah redete.
»Känguruhs«, bestätigte er, als wir in Kilburn Park in die Untergrundbahn stiegen. Es gab einige freie Plätze, und während ich an der Tür stehenblieb, vermeinte ich zu bemerken, wie Zeb auf einen von ihnen zuhielt, um sich hinzusetzen, obgleich er kein Sitzbrett bei sich trug. Er hüstelte und ging demonstrativ an dem ersten freien Platz vorbei, um sich eine Zeitung anzusehen, die auf einem weiter entfernten Sitz lag, dann kam er zu mir zurück, als sich gerade die Türen schlossen. Der Zug fuhr an.
»Känguruhs?« erinnerte ich ihn.
»Ach. Ja«, sagte er. Er zuckte fragend die Achseln. »Essen. Erlaubt?«
»Ah, ich verstehe«, erwiderte ich und überlegte. Der Zug sauste zitternd und klappernd durch den dunklen Tunnel.
Es war Vormittag. Es hatte unzumutbar lange gedauert, meinen Halbbruder aus dem Schlaf aufzuwecken, doch es widerstrebte mir, mich allein zu einem derart wichtigen Teil meiner Mission aufzumachen. Ich war zufrieden damit, wie ich mich tags zuvor in London zurechtgefunden hatte; wenn man bedenkt, daß ich noch nie zuvor die Hauptstadt Großbritanniens besucht hatte, und selbst wenn ich eingestehen mußte, daß meine Bus-spring-Taktik fehlgeschlagen war, fand ich doch, daß ich mich insgesamt für eine Stadt dieser – für mich bislang nie erlebten -Größe recht wacker geschlagen hatte. Trotzdem hielt ich mich beileibe nicht für einen »Großstadtkenner« und war – in der Ahnung, daß die Expedition des heutigen Tages eine weit größere Herausforderung darstellen würde – überzeugt, daß ich von Zebs beachtlichen Ortskenntnissen profitieren könnte, die er während seiner Jahre in der Hauptstadt erworben hatte und die in seinen viel zu seltenen Briefen nach Hause der Anlaß seines offenkundigen, wenn auch stillen Stolzes waren.
Zeb an jenem Morgen zu einer schicklichen Zeit aus seinem Zimmer oder auch nur aus seinem Bett zu locken stellte sich als die bislang größte Herausforderung meiner Mission heraus; sanftes Zureden, angebotene Becher Kaffee, Lobeshymnen über die Schönheit des Tages, appetitlich duftender Toast, zugegebenermaßen scherzhafte Androhungen der Exkommunikation und selbst die mitreißende Lesung einer besonders anregenden Passage der Orthographie vermochten allesamt nicht mehr, als ein leises Stöhnen aus der kleinen Falte im Bettzeug zu entlocken, unter der mein Glaubensbruder hervorlugte. (Zeb war zu diesem Zeitpunkt allein im Bett, da Roadkill schon aufgestanden war.)
Schließlich bedurfte es einer nach Größe gestaffelten Folge von Gefäßen – einem Fingerhut, einem Eierbecher, einer Teetasse, einem Bierglas und einem Eimer –, um ihn zu überzeugen, daß ich es ernst meinte und er keinen Schlaf mehr bekommen würde, egal wie sehr sein Kopf schmerzte. Die meisten Menschen geben auf, nachdem man einen Fingerhut Wasser über sie gegossen hat, aber Zeb hielt bis zur Teetasse durch, was entweder einen ausgesprochen heftigen Kater oder eine bewundernswert eiserne Entschlossenheit bewies. Ich weiß, auf welches von beiden ich mein Geld gesetzt hätte (wenn uns das Wetten gestattet wäre).
Er sah beileibe nicht wohl aus und schien über Nacht eine Erkältung ausgebrütet zu haben; er blieb so lange auf dem Klo, daß ich überzeugt war, er wäre wieder eingeschlafen, doch als ich an die Tür klopfte, schien
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