Die Auserwählte
er wach. Schließlich war er dann aber doch »abmarschbereit«, wie er es nannte, und um zehn Uhr verließen wir endlich peinlich spät das Haus.
Zeb trug schmutzige Turnschuhe ohne Socken, dieselbe zerrissene Jeans wie tags zuvor, ein Hemd, einen löchrigen Pullover und einen alten Parka. Auf dem Weg zum Bahnhof der Untergrundbahn spähte ich durch eins der Löcher in seinem Pullover. »Bruder Zebediah«, fragte ich argwöhnisch, »ist das Hemd gegengeknöpft?«
»Ähm«, erwiderte er. »Scheiße. Is. Bitte. Schau mal. Himmel. Was soll’s.«
»Bruder Zebediah, dieser Sittenverfall muß aufhören. Komm schon; runter mit dem Pullover.«
»Ähm. Scheiße. Komm schon. Nein. Is…«
Ich baute mich vor ihm auf und half ihm aus seiner Jacke, dann zog ich ihm den Pullover über den Kopf.
»Himmel. Ich werd. Nicht mehr. Ich meine. Das. Glaub ich. Nicht.« Wir standen vor einem Zeitungsladen, und ich wunderte mich nicht, daß die Leute uns anstarrten, bei diesem wüsten Gestammel. Zeb hielt seinen Parka und seinen Pullover, während ich einen nach dem anderen die Knöpfe seines Hemdes öffnete und wieder in der geziemenden Weise zuknöpfte.
»Scheiße. Is. Was. Ich meine. Roadkill. Sie. Wir. Teilen. Beide. Scheiße. Alles mögliche. Du verstehst schon. Was so rumliegt.«
»›Gegenknöpfe dein Hemd, auf daß die Erretteten einander erkennen sollen‹«, zitierte ich.
»Ja ja. Aber. Scheiße.«
Das Gegenknöpfen hat seinen Ursprung anscheinend darin, daß Salvador sich einmal, als er nach Stornoway mußte, schämte, verschiedene, nicht zusammenpassende Knöpfe an seinem Hemd zu haben. Es wurde zu einem unserer Rituale, als man erkannte, daß es zur Erkennung anderer Ordensmitglieder dienlich sein konnte, sowie als beständige Erinnerung daran, daß wir anders waren. Das Gegenknöpfen besteht schlicht und einfach darin, den Knopf von außen durch ein Knopfloch zu stecken, so daß er verborgen ist und zur Haut hin zeigt. »Fertig«, erklärte ich, während ich Zebs Hemd wieder zurück in seine Jeans steckte und seinen hohlen Bauch tätschelte. »Du meine Güte, Bruder Zebediah, du bist ja ein Strich in der Landschaft.«
Zeb seufzte und zog seinen Pullover wieder an, dann streifte er sich abermals die Jacke über die schmalen Schultern. Er machte Anstalten weiterzugehen. »Ha!« sagte ich und zeigte auf seine Stirn.
»Herrgott. Is. Scheiße. Zum Teufel auch.«
»Ich vermute nicht, daß du gesegneten Schlamm bei dir trägst«, erklärte ich ihm, »aber du darfst für dieses eine Mal meinen benutzen, und ich habe zum Glück einige zusätzliche Phiolen aus der Gemeinde mitgebracht, von denen ich dir eine hierlassen kann.«
»Scheiße«, sagte Zeb, ließ aber zu, daß ich ihm mit dem Schlamm das kleine V auf die Stirn malte. Ich steckte das Gefäß wieder in die Tasche. »Na also«, erklärte ich, während ich seinen Arm ergriff und mich wieder Richtung Bahnhof in Marsch setzte. »Jetzt sind wir in der Tat gegen alles gewappnet, was diese Stadt für uns aufzubieten hat.«
Zeb war danach sehr still und sprach erst wieder, als wir unsere Fahrkarten hatten, um mich bezüglich des Verzehrs von Känguruhs zu befragen.
»Das ist in der Tat eine knifflige Frage«, gestand ich. »Kann man die Vorderbeine eines Känguruhs tatsächlich als Beine bezeichnen, da sie doch anscheinend eher als Arme benutzt werden?«
»Ja«, erwiderte Zeb. »Siehst du? Genau das.«
»Ein wahrlich zweischneidiges Schwert«, sagte ich und nickte verdrossen. »Ein Problem, zu dem man wahrscheinlich den Gründer befragen müßte.«
»Mein Kumpel. Ozzie. Hatte mal welches probiert. Hat gesagt. Klasse. Das beste Fleisch. Was er je hatte. Mager. Ganz lecker. Echt Klasse. Irre. Phantastisch. Echt.«
»Hmmm«, erwiderte ich. »In dem Fall würde ich vermutlich eher zu einer großzügigen Auslegung neigen; ich war immer der Ansicht, daß Gott gewöhnlich nicht grundlos etwas Appetitliches erschafft.«
»Genau. Gut. Hab ich mir auch gedacht. Ja.« Zeb schaute einen Moment lang erleichtert drein, dann wurde seine Miene seltsam nachdenklich, als ob ihn plötzlich geistige Verwirrung übermannt hätte.
»Orwell?« sagte er zaudernd.
»Orwell?« wiederholte ich verständnislos.
Er zuckte mit den Achseln. »Vier Beine gut.«
Ich starrte ihn verdutzt an, dann fiel es mir mit einem Mal wieder ein. »Ah!« rief ich aus und schlug ihm auf den Rücken, so daß er ins Stolpern kam. »Zwei Beine schlecht!« lachte ich. »Das ist witzig, Bruder Zebediah.«
Er
Weitere Kostenlose Bücher