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Die Auserwählte

Die Auserwählte

Titel: Die Auserwählte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Banks
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Morag gehört zu haben; sie hatten ganz bestimmt kein Konzert mit ihr um zwanzig Uhr am Dienstag, dem 16. Februar 1993, gegeben, eben dem Datum und der Uhrzeit – so mich mein gewöhnlich sehr gutes und verläßliches Gedächtnis nicht trog –, die auf dem Plakat angegeben waren, das in der Eingangshalle des Herrenhauses in High Easter Offerance hing und auf das mein Großvater so stolz war.
    Die anfangs etwas widerstrebende Angestellte, an die man uns verwiesen hatte, beharrte steif und fest darauf, daß ihr niemand dieses Namens bekannt sei und daß darüber hinaus noch nie ein Baryton-Konzert im South-Bank-Komplex stattgefunden hätte (wenigstens hatte sie schon einmal von dem Instrument selbst gehört, als ich es ihr gegenüber erwähnte, ich begann mich bereits zu fragen, ob es überhaupt existierte). Sie war schlank, mit Strickjacke und gepflegtem Umgangston, und ihr Haar war zu einem ordentlichen Knoten aufgesteckt. Ich vermutete damals – aufgrund ihrer selbstsicheren Art und ihres allgemeinen Auftretens –, daß ich es hier mit einem ebenso verläßlichen Gedächtnis wie meinem eigenen zu tun hatte, aber ich wußte, daß einer von uns beiden sich irren mußte, und so bat ich sie, die Sache noch einmal zu überprüfen. Sie hieß uns, in der Cafeteria Platz zu nehmen, und verschwand wieder im Verwaltungstrakt, aus dem sie mit einem großen, verknittert aussehenden Blatt zurückkehrte, das sie als Ausdruck bezeichnete und in dem alle Veranstaltungen aufgeführt waren, die 1993 in den verschiedenen Teilen des Gebäudekomplexes stattgefunden hatten.
    »Wenn ein solches Konzert stattgefunden hätte, wäre der Purcell Room sicher am geeignetsten gewesen…« erklärte sie uns, während sie die breiten, grün linierten Seiten durchblätterte.
    »Könnte es sein, daß es sich bei der Jahresangabe auf dem Plakat um einen Druckfehler handelt?« fragte ich.
    Sie schaute mich säuerlich an und nahm ihre Brille ab. »Nun, im letzten Jahr hat es ganz sicher nicht stattgefunden; daran würde ich mich erinnern. Aber wenn Sie es wirklich möchten, kann ich ja noch einmal die Liste für zweiundneunzig durchsehen.«
    »Ich wäre Ihnen zutiefst dankbar«, sagte ich leise und nahm meinen Hut ab, um einen hilflosen Eindruck zu vermitteln.
    Sie seufzte. »Na schön.«
    Ich sah ihr hinterher, als sie abermals verschwand. »Bruder Zebediah«, sagte ich zu meinem Halbbruder. Er blickte erschrocken auf, als wäre er auf seinem Stuhl eingenickt. »Ich finde, wir sollten der Frau eine Tasse Kaffee bestellen, meinst du nicht auch?«
    Er starrte mich an. Ich deutete mit einem Nicken auf den Tresen. Zeb sah mich einen Moment lang wütend an. »Ich«, sagte er. »Immer. Ich. Zahlen. Du«, er deutete auf mich, »auch mal?« (Ich bedachte ihn mit einem bösen Blick.) »Nein?« sagte er zaudernd.
    »Bruder Zebediah«, erklärte ich, während ich mich aufrichtete und meinen Hut wieder aufsetzte. »Ich befinde mich auf einer sehr bedeutenden Mission, mit dem höchstpersönlichen Segen und auf Anweisung unseres Gründers; ich verfüge über eine geringe Barschaft für Notfälle, aber davon abgesehen verlasse ich mich auf die Unterstützung der Gesegneten, ob sie sich nun strikt an unsere Gebote halten oder nicht. Ich hoffe, du hast nicht bereits den Ernst der Lage vergessen; Morag ist seit mehreren Jahren der Eckpfeiler unserer Missionsbemühungen, ganz abgesehen davon, daß sie unserem Gründer ganz besonders am Herzen liegt und der Mittelpunkt des bevorstehenden Fests der Liebe sein soll. In solchen Zeiten müssen wir alle Opfer bringen, Bruder Zebediah, und ich bin schockiert, daß du – «
    »Gut! Okay! Geht klar! Ich seh ja schon!« schnitt er mir das Wort ab, bevor ich wirklich Gelegenheit hatte, meine Argumentation auf den Punkt zu bringen. Er trollte sich zum Tresen.
    Die Dame wollte keinen Kaffee, was mir Zebs böse Blicke für den Rest des Gesprächs eintrug, in dessen Verlauf ich zu der Überzeugung gelangte, daß Cousine Morag tatsächlich niemals in der Royal Festival Hall aufgetreten war. Ich bedankte mich, als sich die Dame zum Gehen erhob, dann setzte ich mich wieder und dachte nach. Zeb trank die Tasse erkalteten Kaffees mit einem selbstgefälligen Gesichtsausdruck und einem unnötig hohen Geräuschpegel.
    »Keine Nachsendeadresse, kein Agent, keine Konzerte; niemand hat je von ihr gehört!« rief ich aus. »Und dabei ist sie eine Solistin von internationalem Ruf!«
    »Stimmt. Merkwürdig.«
    In einer derartigen Situation

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