Die Auserwählten - Im Labyrinth (German Edition)
geht’s einem ganz dreckig, am ganzen Körper. Wenn es vorbei ist, dann ist man … anders.«
Thomas sah seine Chance, endlich eine richtige Antwort zu bekommen. »Anders? Wie anders? Und was hat das mit den Griewern zu tun? Hat Gally das gemeint, als er davon geredet hat, dass man ›gestochen‹ wird?«
»Pst.« Chuck hielt einen Finger an die Lippen.
Thomas hätte vor Frust beinah laut losgeschrien, aber er schwieg. Er beschloss Chuck später dazu zu bringen, ihm alles zu sagen, ob er nun wollte oder nicht.
Alby und Newt waren jetzt bei der Gruppe angekommen und bahnten sich einen Weg hindurch nach vorn bis direkt zur Tür über der Box. Es wurde mucksmäuschenstill und Thomas hörte zum ersten Mal das Knirschen und Mahlen des hochfahrenden Aufzugs, was ihn an seine Albtraumfahrt vom Vortag erinnerte. Traurigkeit überfiel ihn, fast als müsste er diese schrecklichen Minuten noch einmal erleben, wie er im Stockdustern aufgewacht war und sich an nichts mehr erinnern konnte. Der Neue tat ihm leid, wer immer es sein mochte, jedenfalls musste der nun auch da durch.
Ein gedämpfter Aufprall zeigte, dass der höchst merkwürdige Aufzug angekommen war.
Thomas sah gespannt zu, wie Newt und Alby an den beiden gegenüberliegenden Seiten der Tür Aufstellung nahmen. Ein Spalt hatte sich genau in der Mitte des Metallvierecks geöffnet. Lange Haken wurden in der Mitte eingehängt und die beiden Hälften damit auseinandergezerrt. Die Türen öffneten sich mit einem metallischen Schaben und ein Staubwölkchen stieg von den Steinen auf.
Keiner der Lichter sagte ein Wort. Als Newt sich vorbeugte, um besser in die Box hinuntersehen zu können, war nur weit weg das Meckern einer Ziege zu hören, sonst nichts. Thomas lehnte sich, so weit es ging, vor, weil er auch einen Blick auf den Neuankömmling erhaschen wollte.
Newt zuckte von der Box zurück, auf seinem Gesicht völlige Verwirrung. »Heiliger …«, ächzte er und starrte um sich.
Alby hatte mittlerweile auch hinuntergeblickt, seine Reaktion war ähnlich. »Nicht wahr«, murmelte er wie in Trance.
Ein Chor von Fragen erfüllte die Luft, als alle anfingen sich vorzudrängeln, um auch einen Blick hinunter in den Schacht zu werfen. Was gibt’s da bloß zu sehen?, dachte Thomas. Was ist da? Unterschwellige Angst machte sich wieder in ihm breit wie am Morgen, als der Griewer hinter der Scheibe aufgetaucht war.
»Stopp!«, schrie Alby, was alle zum Verstummen brachte. »Wartet!«
»Ja, was ist denn?«, brüllte jemand zurück.
Alby richtete sich auf. »Zwei Neue in zwei Tagen«, sagte er fast flüsternd. »Und jetzt das. Zwei Jahre, nie ändert sich was, und jetzt das.« Und damit sah er aus irgendeinem Grund Thomas direkt ins Gesicht. »Was ist hier los, Frischling?«
Verständnislos starrte Thomas mit knallrotem Kopf und Krämpfen im Bauch zurück. »Woher soll ich das wissen?«
»Warum sagst du uns nicht einfach, was zum Geier da unten ist, Alby?«, schrie Gally. Es gab weiteres Gemurmel und Geschiebe nach vorn.
»Alle mal Klappe halten!«, brüllte Alby. »Sag’s ihnen, Newt.«
Newt blickte noch einmal hinunter in die Box und wandte sich dann mit todernstem Gesicht der Meute zu.
»Es ist ein Mädchen«, sagte er.
Alle redeten durcheinander, Thomas schnappte nur hier und da ein paar Fetzen auf.
»Ein Mädchen?«
»Das will ich sehen!«
»Wie sieht sie aus?«
»Wie alt ist sie?«
Thomas kapierte überhaupt nichts mehr. Ein Mädchen? Er hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, warum es eigentlich nur Jungen auf der Lichtung gab und keine Mädchen. Er hatte es eigentlich noch gar nicht richtig bemerkt. Wer mag sie sein? , dachte er. Warum –?
Newt brachte alle zum Schweigen. »Das ist noch lange nicht alles«, sagte er und zeigte hinunter in den Aufzug. »Ich glaube, sie ist tot.«
Mehrere Jungs griffen nach ein paar aus Efeuranken angefertigten Seilen und ließen Alby und Newt hinunter in die Box, damit sie den Leichnam des Mädchens herausholen konnten. Die meisten Lichter waren verstummt, liefen mit ernsten Gesichtern hin und her, kickten lose Steine herum und sagten nicht viel. Keiner gab zu, dass er es nicht abwarten konnte, das Mädchen zu sehen, aber Thomas ging davon aus, die andern wären genauso neugierig wie er.
Gally war einer derjenigen, die an den Lianen zogen, um sie, Alby und Newt aus der Box herauszuhieven. Thomas beobachtete ihn ganz genau. Irgendetwas Düsteres war in seinen Augen – fast wie eine perverse Faszination. Ein
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