Die Auserwählten - Im Labyrinth (German Edition)
Lebens für sein Schicksal verantwortlich fühlen? Es soll einfach vorbei sein , schrie er innerlich. Schluss!
»Bitte«, sagte Ben, dessen Stimme vor Verzweiflung immer höher wurde. »Biiiiittttteeee! Helft mir doch! Das könnt ihr doch nicht mit mir machen!«
»Sei still!«, brüllte Alby von hinten.
Aber Ben hörte nicht auf ihn, sondern flehte die anderen um Hilfe an, während er an dem Lederriemen um seinen Hals zog. »Haltet sie auf! Helft mir! Bitte!« Bettelnd sah er von einem Jungen zum nächsten, doch jeder wandte den Blick ab. Thomas stellte sich schnell hinter einen größeren Jungen, um nicht noch einmal mit Bens Blick konfrontiert zu werden. Ich kann nie wieder in diese Augen blicken , dachte er.
»Wenn wir Strünke wie dich mit so etwas davonkommen ließen«, sagte Alby, »hätten wir nie überleben können. Hüter, macht euch bereit.«
»Nein, nein, nein, nein, nein«, sagte Ben immer wieder. »Ich schwör’s, ich mache, was ihr wollt! Ich schwör’s! Biiiiittttt-«
Sein schrilles Kreischen wurde von dem Rumpeln des Osttors übertönt, das sich zu schließen begann. Funken sprühten, als sich das Gestein der gigantischen rechten Mauer nach links verschob. Der Boden unter ihren Füßen bebte, als die Lichtung für die Nacht verschlossen wurde, und Thomas wusste nicht, ob er mit ansehen konnte, was als Nächstes passieren würde.
»Hüter, jetzt!«, schrie Alby.
Bens Kopf wurde nach hinten gerissen, als er mit einem Ruck von der Stange in Richtung Labyrinth geschoben wurde. Ein erstickter Schrei kam aus Bens Kehle, der lauter als das Donnern des sich schließenden Tors war. Er ließ sich auf die Knie fallen, wurde aber von dem ersten Hüter vorn, einem untersetzten Kerl mit schwarzen Haaren und einem höhnischen Gesichtsausdruck, wieder hochgerissen.
»Neeeeiiiiiihhnnnn!«, schrie Ben, schlug und trat wie wild um sich und riss mit den Händen an dem Halsband, während ihm der Speichel aus dem Mund flog. Aber gemeinsam hatten die Hüter zu viel Kraft und der Verurteilte wurde näher und näher auf den Rand der Lichtung geschoben. Die Mauer war schon fast zu. »Neeeeiiihhnn!«, schrie er wieder und wieder.
Ben versuchte sich mit den Füßen an der Schwelle abzustemmen, was ihm aber nur den Bruchteil einer Sekunde lang half, dann wurde er von der Stange mit einem Ruck ins Labyrinth geschleudert. Kurz darauf war er schon einen ganzen Meter im Labyrinth und warf sich hin und her, um sich aus dem Halsband zu befreien. Es blieben nur noch Sekunden, bevor die Tore sich schließen würden.
Mit einer letzten verzweifelten Anstrengung schaffte Ben es, seinen Hals in dem Lederband umzudrehen, so dass sein ganzer Körper jetzt den Lichtern zugewandt war. Thomas konnte nicht glauben, dass er immer noch ein menschliches Wesen vor sich sah – der Wahnsinn in Bens Augen, der Rotz, der ihm übers Gesicht lief, die weiße Haut, die sich über Adern und Knochen spannte. So sah kein Mensch aus.
»Halt!«, kommandierte Alby.
Ben schrie jetzt, pausenlos, ein Klang, der so in den Ohren gellte, dass Thomas sie sich zuhalten musste. Es war ein tierischer, irrer Schrei, der dem Jungen garantiert die Stimmbänder zerreißen würde. In der letzten Sekunde löste der vorderste Hüter irgendwie den Rest der Rute von dem an Ben befestigten Stück und riss ihn zurück in die Lichtung. Ben blieb in der Verbannung. Seine letzten Schreie waren nicht mehr zu hören, als die Wände sich mit einem fürchterlichen Knall schlossen.
Thomas machte die Augen ganz fest zu und merkte erstaunt, dass ihm Tränen die Wangen herunterliefen.
Zum zweiten Mal in Folge wurde Thomas beim Einschlafen von Bens schrecklichem Gesicht gequält. Ob alles ganz anders gelaufen wäre, wenn dieser eine Junge nicht wäre? Fast konnte Thomas sich einreden, dass er völlig glücklich und zufrieden wäre, sich begeistert auf sein neues Leben und sein Ziel, Läufer zu werden, stürzen würde. Aber leider nur fast. Tief in sich wusste er, dass Ben nur eines von vielen Problemen darstellte.
Doch jetzt war er weg, verbannt ins Reich der Griewer, dahin verschleppt, wohin sie ihre Beute brachten, dem ausgeliefert, was dort mit ihm passieren würde. Obwohl Thomas genügend Gründe hatte, Ben zu hassen, jetzt verspürte er einfach nur Mitleid für ihn.
Thomas konnte sich nicht vorstellen so zu enden, aber Bens letzten Augenblicken nach zu schließen, in denen er wie ein Wahnsinniger um sich geschlagen, geschrien und gespuckt hatte, hegte er
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