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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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zusammengeschrumpft. Zu einem Menschen, der in der Wirklichkeit nur Tourist war und alsbald wieder Zuflucht in der Festung aus Theorie und Trauer suchen würde, zu der er sein Ferienhaus umgebaut hatte.
    »Sag ihm, dass du ausgerechnet hast, dass der nächste Mord entweder in Venedig oder in Kopenhagen stattfindet. Bei Sonnenuntergang.«
    Hannah wandte sich an den Anrufbeantworter: »Bon jour, di Barbara.«
    Ihr Französisch war ebenso unsicher wie Niels’ Fahrt durch die Einbahnstraße, ebenso zögernd und voller Ausweichmanöver. Niels kurvte um einen Müllwagen herum und bekam prompt von einem entgegenkommenden Fahrradfahrer die Quittung, der im Vorbeifahren voller Wut auf das Dach hämmerte. Hannah zuckte zusammen, aber dieser ewige Kampf zwischen Auto-und Fahrradfahrern war typisch für Kopenhagen. Das Seltsame war nur, dass man problemlos von einer Rolle in die andere schlüpfen konnte.
    »Sag ihm, dass du ihm eine SMS mit Längen-und Breitengraden schickst. Damit er den möglichen Tatort mit seinem GPS finden kann.«
    Hannah begann wieder Französisch zu reden.
    Niels hörte ihr zu. Die Sätze kamen ihr nur stockend über die Lippen, aber trotzdem war ihm der Klang der französischen Sprache nie so schön erschienen wie aus Hannahs Mund.

57.
    57.
    Venedig
    Das Geräusch des Bootsmotors, der sich durch das schmutzige Wasser pflügte, übertönte mit Leichtigkeit das Klingeln des Telefons. Tommasos Yamaha-Motor war seit Oktober zur Reparatur gewesen und endlich wieder zurück. Jetzt genoss er das gleichmäßige Dröhnen, die störenden Nebengeräusche waren endlich weg, und die Maschine lief wieder, wie sie sollte. Ein Sonnenstrahl traf auf die Lagune und versprach besseres Wetter. Tommaso sah zu dem Dackel hinüber, der im Bug auf einer alten, morschen Taurolle lag. Der Hund gehörte seiner Mutter und schien irgendwie zu wissen, dass Tommaso auf dem Weg zum Tierheim war.
    »Bist du seekrank?«, rief Tommaso dem Hund zu und versuchte sich an einem Lächeln. Das Tier sah ihn aber nur beleidigt an.
    Vor sich sah er jetzt die Insel. Die Lazarettinsel , wie Lazaretto Nuovo von einigen genannt wurde. Einst hatten dort die Pestkranken gehaust. Wer vor vierhundert Jahren, als auf dem Kontinent die Pest wütete, in der Stadt am Ende des Mittelmeeres ankam, musste erst vierzig Tage auf dieser Insel verbringen. Quaranta – vierzig auf Italienisch. Der Ursprung des Wortes Quarantäne. Vierzig Tage, die zeigen sollten, ob sich auf der Haut nicht plötzlich Beulen bildeten. Vierzig Tage, in denen man nicht wusste, ob diese Insel nicht der letzte Ort sein würde, den man auf dieser Welt zu Gesicht bekam. Vielleicht waren es die Gedanken an die Pest; auf jeden Fall spürte Tommaso deutlich, dass sich die Grippesymptome, die ihn seit Tagen quälten, verstärkt hatten. »Schweinegrippe«, murmelte er und wurde langsamer. Sein Atem ging schwerer. Er schloss die Augen und genoss für einen Augenblick die Sonne. Hätte man ihn nicht suspendiert, müsste er jetzt gemeinsam mit den anderen Beamten auf dem Bahnhof stehen. Die Ankunft der Politiker und des Justizministers in der Stadt war eine große Sache, so dass Commissario Morante sicher von seinem ganzen Korps verlangte bereitzustehen. Sie mussten jetzt ohne Tommaso auskommen, was ihm mehr als recht war.
    Die Gebäude am Ufer der Lagune waren schief. Die Fundamente hatten sich in dem sumpfigen Boden verschoben, so dass viele Häuser einsturzgefährdet waren. Der Rost der eisernen Fenstergitter lief in geraden Linien an den Mauern nach unten. Nach der Pest hatte man diese Insel auch als Gefängnis für Geisteskranke genutzt, doch jetzt diente sie nur noch als Tierheim für Hunde. Hierher brachte man die herrenlosen Hunde sowohl vom Festland als auch von den Inseln. Viele wurden eingeschläfert, einige wenige aber auch an neue Besitzer vermittelt.
    Wenige Meter vor dem Anleger drosselte Tommaso den Motor erneut. Im gleichen Moment hörte er sein Telefon. Zehn verpasste Anrufe. Einer aus Dänemark. Von Niels Bentzon. Neun Anrufe aus dem Hospiz. Das war kein gutes Zeichen.

58.
    58.
    Kopenhagen Save the planet. Apocalypse if we don’t act now. We demand action.
    Niels und Hannah saßen im Auto und betrachteten die Demonstranten. Einige tanzten, andere platzten fast vor Wut über die Ungerechtigkeit der Welt.
    »Wie lange brauchen wir noch?«, fragte Niels.
    »Kommt darauf an.«
    »Wie viele Dezimalstellen auf diesen Breiten-und Längengraden?«
    »Dezimalstellen?« Sie lächelte.

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