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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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sie meinem Psychiater. Weißt du, was?«
    »Erzähl!«
    »Dein Nummernschild. Es ist mir aufgefallen, als du nach deinem ersten Besuch rückwärts aus unserer Einfahrt gefahren bist. II 12 041.«
    »Und was ist damit?«
    »12 04. 12. April. Der Geburtstag meines Sohnes. Und dann so weiter: die letzte 1 und die zwei Mal II.«
    »Ich kann da nichts erkennen.«
    »Das ›I‹ ist der neunte Buchstabe. Das ergibt dann also 199. Und nimmt man auch noch die nächste Zahl mit, bekommt man …«
    »1991, das Jahr seiner Geburt?«
    »Genau. Siehst du, Niels. Ich suche nach Systemen. Die ganze Zeit über. Dieses System habe ich quasi spontan gesehen, als du mit deinem Auto weggefahren bist. Verstehst du? Es ist ein Fluch. Eine Rechenmaschine, die ich einfach nicht ausschalten kann.«
    Niels dachte einen Augenblick nach.
    »Guck mal auf die Straße«, sagte er.
    »Wie meinst du das?«
    »Sieh einfach genau hin. Gibt es ein System in den Autos, die uns entgegenkommen?«
    Sie lächelte. »Du bist süß.«
    »Gib mir einfach eine Antwort. Tu so, als wäre ich ein Idiot.«
    »Ja, es gibt ein System.«
    »Genau. Man fährt auf der rechten Seite der Straße. Auch wenn du Systeme siehst, die es gar nicht gibt, siehst du trotzdem diejenigen, die es gibt. Ich bin als manisch depressiv eingestuft worden. Mit allem Drum und Dran. Jeder hat es so eilig damit, uns zu diagnostizieren und unsere Launen in eine Krankheit umzuformulieren.«
    Sie zögerte. Dachte nach. »Ja. Aber ich sollte jetzt besser nach Hause.«
    Niels musterte sie. »Vielleicht wäre das das Beste, ja. Bei diesem Problem geht es aber gar nicht mehr darum, dass du zu viele Systeme siehst.« Er machte den Motor wieder an.
    »Wovon redest du?«
    »Es geht um Menschen, Hannah. Solange es nur um das System ging, um die Theorie, um etwas, das in deinem Kopf geschah, war alles in Ordnung, Hannah. Aber jetzt, wo wir es plötzlich mit richtigen Menschen zu tun haben, willst du kneifen?«
    Sie sah ihn überrascht an.
    »Das will ich damit doch gar nicht sagen.«
    »Es gibt Systeme, schwarze Löcher aus schwarzer Materie. Du kennst das, Hannah. Für dich ist das ein Heimspiel. Aber es gibt auch richtige Menschen. Mich, die Menschen in deinem Umfeld. Das nächste Opfer. Dein Sohn …«
    »Du …«
    Ihr Kontrollverlust kam für sie ebenso unerwartet wie für Niels. Trotzdem war er es, der plötzlich ihre Faust am Kopf spürte.
    »Hannah!«
    Erst stieß sie einen erstickten Schrei aus, dann regneten ihre Schläge auf Niels herab.
    »Hannah! Beruhige dich«, rief Niels und hielt sich die Hände schützend vor das Gesicht. Er hätte ihre Arme packen können, tat es aber nicht.
    »Du …, du …«, sagte sie wieder und wieder, ohne den Satz zu vollenden. Ihre Schläge wurden fester.
    Dann hörte sie auf. Er schmeckte Blut. Sie konnte das Resultat ihrer Wut ruhig sehen. Aus den Sekunden wurde eine Minute. Oder mehr.
    »Du blutest.«
    »Ist nicht schlimm.«
    Ihr Atem raste, als sie ihre Hand langsam zu seinem Mund führte. Sie wischte den schmalen Streifen Blut von seiner Lippe, und Niels nahm ihre Hand. Der Kuss kam wie das Natürlichste auf der Welt. Sie drehte sich auf dem Sitz zur Seite und beugte sich zu ihm herüber. Es war sie, die ihn küsste. Er ließ es zu. Hannahs Zunge glitt vorsichtig über den kleinen Riss in seiner Unterlippe, bevor sie die seine fand. Einen Augenblick lang blieben sie so sitzen.
    Hannah richtete sich auf und sah aus dem Fenster. Als wäre nichts geschehen, weder der Kuss noch ihr Wutausbruch. Dann brach sie das Schweigen.
    »Du hast Recht.«

66.
    66.
    Chiesa dei Santi Geremia e Lucia, Venedig
    Der Anruf kam in dem Moment, als die Sirene verstummte. Eine Nummer aus Dänemark. Man durfte in der Kirche nicht telefonieren, aber Tommaso hatte bereits seine Kerze entzündet und sich bekreuzigt. Zur Sicherheit hatte er sogar zwei Kerzen angezündet. Kleine Weihnachtsbaumkerzen, die in null Komma nichts abbrannten. Er ging in das Seitenschiff, um niemanden zu stören, und meldete sich leise.
    »Tommaso di Barbara.«
    Es war die Frau aus Dänemark. Sie wollte wissen, ob er ihre Nachricht erhalten hatte.
    »Oui.«
    Ihr dänischer Akzent war markant, wenn sie Französisch sprach. Sie war aber trotzdem deutlich zu verstehen: »Das System passt bis ins letzte Detail«, erklärte sie.
    »Das klingt vollkommen unglaublich.«
    »Wenn die Zahl stimmt, wenn dem Ganzen wirklich die sechsunddreißig zugrunde liegt …«
    Die Verbindung war schlecht. Tommaso sah zu dem

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