Die Auserwählten
geworden war. »Nein, lassen Sie uns nicht jetzt darüber reden, Bentzon. Es gibt jetzt wirklich wichtigere Dinge. Wir sehen uns nächste Woche in meinem Büro.«
»Hören Sie doch, was sie Ihnen zu sagen hat.«
»Niels. Ich habe mir gerade Hintergrundinformationen über Ihre neue Freundin beschafft.«
Hannah sah Sommersted überrascht an. Dann richtete sie ihren Blick auf Niels.
»Das hätten Sie vielleicht auch tun sollen, bevor Sie hier mit ihr aufmarschiert sind. Ausgerechnet hier und heute. Einfach so durch die Sicherheitskontrollen zu Obama und all den anderen.«
»Was meinen Sie damit?«
Sommersted machte Anstalten zu gehen.
»Welche Hintergrundinformationen?«
Hannah stand auf. Niels sah sie verwirrt an.
»Wovon redet er denn?«, fragte er.
Sommersted sah Hannah mitleidig an und sagte: »Das hat nichts mit diesem Fall hier zu tun.«
Niels unterbrach ihn. »Wovon reden Sie?«
Hannah holte tief Luft. Sommersted lehnte sich an die Tür und betrachtete sie abwartend.
»Erzählen Sie ihm, was Sie herausgefunden haben«, sagte Hannah, ohne aufzublicken.
»Ich hätte das von mir aus nicht angesprochen, aber wenn Sie darum bitten …« Sommersted klang beinahe menschlich. »Wir wissen, dass Sie in der geschlossenen Abteilung gesessen haben. Und wissen Sie, was das in meiner Welt bedeutet?«
Hannah hatte Tränen in den Augen: »Ich habe meinen Sohn verloren.«
»Für mich bedeutet das, dass Sie nicht zurechnungsfähig sind. Und nicht zurechnungsfähige Menschen gefährden die Sicherheit.«
Hannah flüsterte: »Sie Schwein.«
»Und wenn ich irgendetwas ganz und gar nicht gebrauchen kann, während ich auf die da aufpasse …« Sommersted drehte sich um und zeigte durch das Fenster auf Obama, der aus dem Eingang kam und zu seiner geparkten Limousine ging. »Dann irgendwelche Verrückte. Denn die können echt gefährlich werden.«
Hannah schluckte.
Obama winkte den Demonstranten zu. Er sah kleiner aus als im Fernsehen. Heal the World , las Niels noch auf einem Banner, bevor Sommersted die Tür öffnete.
»Und jetzt gehe ich da raus und mache meine Arbeit.«
Hannah weinte. Einen Augenblick lang blieb Sommersted noch in der Tür stehen. Niels sah ihn an. Er wusste, dass alles verloren war. Seinen Job war er los, und das aller Voraussicht nach nicht nur hier, sondern im ganzen Land. Da konnten die letzten Worte auch ruhig von ihm kommen.
»Dann gehen Sie doch. Leben Sie wohl, Sommersted.«
***
Die Fahrt ins Stadtzentrum zurück verlief schweigsam. Niels fuhr. Hannah sah aus dem Fenster und war so leise, dass man sich Sorgen um sie machen musste.
»Atmest du noch?«
»Ja.«
»Gut.«
»Warum, weiß ich aber nicht.«
Warum atmen wir? Auch er konnte diese Frage nicht beantworten. Jedenfalls nicht in diesem Augenblick.
»Du kannst einfach irgendwo anhalten und aussteigen, wenn du willst. Wohin fährst du?«
Sie sah ihn an. Zum ersten Mal.
»Zum Café.«
»Na, gut.«
Das Café. Wie seltsam ein Tag sich doch entwickeln konnte. Hannahs Mascara war verwischt, und aus der engagierten Wissenschaftlerin, die ganz und gar in ihrem Element gewesen war, war jetzt ein kleines Häuflein Elend geworden.
»Niels … ich hätte keine Prognosen stellen dürfen. Wir sind zu weit gegangen. Das tut mir leid.«
Niels’ Telefon klingelte.
»Das ist der Italiener.« Er reichte ihr das Telefon.
»Was soll ich sagen?«
»Dass der nächste Mord bei ihm oder bei uns begangen werden wird.«
Niels fuhr an den Straßenrand. Das Telefon verstummte. Er schaltete den Motor aus und sah sie an.
»Ich weiß nicht, was damals mit dir passiert ist. Aber ich weiß, dass du nicht verrückt bist.«
Sie unterdrückte ein schwaches Lächeln und zuckte mit den Schultern.
»Es vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht auf die Waagschale des Wahnsinns lege. Ich führe Tagebuch, und jedes Mal, wenn ich einen Zusammenhang sehe, schreibe ich alles auf.«
»Wie meinst du das?«
»Mein Gehirn. Es sucht immer und überall nach Systemen. Das hat es immer getan. Wie ein Supercomputer, der alles zu berechnen versucht. Unablässig. Das war schon so, als ich noch ein Kind war. Ich sage dir, das ist ein Fluch. Irgendwann ist dieser Computer dann kaputtgegangen. Vielleicht bei der Geburt meines Sohnes. Danach habe ich plötzlich Systeme und Zusammenhänge gesehen, die es gar nicht gab.«
»Wie das?«
»Nummernschilder, zum Beispiel. Ich habe nach numerischen Zusammenhängen gesucht. Und das tue ich noch immer. Ich schreibe sie auf und zeige
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