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Die Auserwählten

Die Auserwählten

Titel: Die Auserwählten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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das gleiche Thema wie bei Abraham und Isaak. Es geht um das Opfern.«
    »Und was sollten wir opfern, Hannah?«
    Sie dachte eine Weile nach. »Unseren uneingeschränkten Glauben an uns selbst. Gibt es dafür Worte?« Sie lächelte. »Ich meine, eine Sache ist es, an sich selbst zu glauben. Eine andere, sich selbst wie einen kleinen Gott zu verehren.«
    Ein unsicheres, kleines Lachen. Als hätte sie etwas Dummes gesagt. Sie sah ihn an. Dann beugte sie sich ebenso rasch wie beim letzten Mal über ihn und küsste ihn.
    ***
    Er spürte den Kuss immer noch, als sie etwas später am Meer entlangliefen, vor sich nichts als den Strand. Niels genoss die Kälte auf seinem Gesicht, die frische, nach Salz riechende Luft. Später wollte er noch zum Hafen gehen und einen Fischer suchen, der noch vor Weihnachten auslaufen und ein paar Tage auf See bleiben wollte. So schwer konnte das doch nicht sein, dachte er. Schließlich mussten ja für Silvester Tausende von Dorschen gefangen werden. Er wollte ein paar Tausend Kronen für eine Koje bieten und sich dann bis zur Bewusstlosigkeit betäuben.
    »Woran denkst du?«, fragte Hannah.
    »Ach, an nichts.«
    »Wir brauchen etwas zu trinken«, sagte sie. »Wir sind doch im Urlaub. Ich hab schon ganz vergessen, wie man das macht. Urlaub.«
    »Gin Tonic?«
    »Und dann ein kleines Mittagsschläfchen. Oder umgekehrt?«
    »Ich glaube nicht, dass es dafür Gleichungen gibt.«
    »Das solltest du nicht sagen«, konterte sie belustigt. »Lass uns in die Stadt gehen.«
    Niels blieb an einem alten Münztelefon stehen. Gegenüber lag der kleine Lebensmittelladen. »Ich muss kurz telefonieren.«
    »Hast du Kleingeld?«
    Er nickte. Sie verschwand in dem Laden, während er die Telefonzelle betrat, Münzen einwarf und die ellenlange südafrikanische Nummer eintippte. Bei der letzten Zahl zögerte er. Er konnte Hannah im Innern des Ladens stehen sehen. Sie winkte ihm zu. Er winkte zurück und drehte sich um. Das Winterlicht badete das Meer in zartem Weiß, als die Erde unter ihm kaum spürbar zu beben begann. Oder bildete er sich das nur ein? Die Vibration ging auf seinen ganzen Körper über. Kopfschüttelnd schrieb er diese Empfindung seiner Angespanntheit zu und wählte die Nummer ein zweites Mal. Kathrines Nummer, glaubte er. Es war jedoch Rosenberg, der sich meldete:
    »Hallo?«
    Niels wunderte sich. Wusste er die Nummer des Pastors auswendig?
    »Hallo? Wer ist am Apparat?« Die Stimme des Pastors klang tiefer, als Niels sie in Erinnerung hatte.
    Niels wollte etwas sagen, fand aber nicht die richtigen Worte.
    »Ist da jemand?«
    Hannah winkte wieder. Sie stand an der Kasse und kaufte Zigaretten. In diesem Augenblick fing Niels’ Blick auch noch etwas anderes ein: Ein Auto fuhr etwas weiter oberhalb über die Straße, aber er fixierte die Schranke. Wie tags zuvor versuchte sie vergebens, sich nach unten zu senken. Oder ließ der Wind sie so zucken?
    »Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich denke, Sie rufen an, weil Sie bereit sind, jemandem zuzuhören«, sagte der Pastor.
    Jetzt bemerkte Niels den Zug. Hatte auch der Autofahrer die herannahende Gefahr erkannt?
    Der Pastor fuhr in monotonem Tonfall fort: »Vielleicht haben Sie etwas erlebt, das Zweifel in Ihnen geweckt hat. Etwas, das in Ihnen die Bereitschaft weckt zuzuhören.«
    Stille. Der Pastor wollte ihm die Möglichkeit geben, etwas zu sagen. Niels schwieg.
    »Sie brauchen nichts zu sagen.«
    Zwei kleine Mädchen kamen aus dem Laden. Lachend hielten sie ihre Süßigkeitentüten fest. Ihre Wangen waren von der Kälte gerötet, und auf ihren Köpfen trugen sie selbstgestrickte Wollmützen. Sorglos gingen sie zu ihren Fahrrädern, die an der Wand des Ladens lehnten.
    Rosenberg räusperte sich und sagte: »Geben Sie mir einfach ein Zeichen, dass Sie mich hören.« Sein Atem ging stoßweise. »Sind Sie noch da?«
    Niels legte auf und trat aus der Telefonzelle. Das Auto kam näher. Niels erkannte, dass es ein Volvo war, einer von den älteren, eckigen Modellen. Der Wagen war nicht langsamer geworden. Die Mädchen standen mit ihren Fahrrädern direkt vor dem Laden. Niels trat ein paar Schritte vor und winkte dem Fahrer des Autos zu.
    »Hallo!« Niels wollte dem Fahrer ein Zeichen geben, aber das Auto fuhr weiter. »Anhalten!« Das Meeresrauschen und der eisige Wind übertönten seinen Ruf und rissen ihm die Laute von den Lippen. Trotzdem rief er noch einmal: »Anhalten!«
    Eines der beiden Mädchen erschrak über die laute Stimme und drehte sich um. Sie

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