Die Auserwählten
gibt es aber nicht. Möglicherweise poison.«
»Poison? Gift?«
»Ja.«
»Sonst steht da nichts?«
»Doch, dass Sarah Johnsson heute auf dem Riverside Cemetery in Thunder Bay begraben liegt. Im Gemeinschaftsgrab.«
»Und was ist mit dem Zeichen auf dem Rücken? Gibt’s darüber was in den Unterlagen?«
Niels las und blätterte wieder zurück.
»Nichts. Doch, warten Sie. Hier ist ein Auszug aus dem Obduktionsbericht. ›Skin eruption or Bloodshot on the back‹.«
»Kann die Polizei deshalb von einem Giftmord ausgegangen sein?«
»Bestimmt. Der Fall ist inzwischen zu den Akten gelegt worden.«
Hannah nickte und drückte ihre Zigarette aus. Niels stand auf und durchquerte den Raum. Vor der Wand blieb er stehen und machte wieder kehrt.
»Ich verstehe das nicht«, sagte er, ohne sie anzusehen. »Warum hat er so viel Material zusammengetragen?«
»Und warum hat er es Ihnen geschickt?«
Niels setzte sich wieder. »Sollen wir weitermachen?«, fragte er. »Finden Sie, das ergibt Sinn?«
»Gehen wir zum nächsten Fall. Werfen wir noch einen Blick in die Schriftrollen vom Toten Meer.«
»Okay. Mord Nummer zwei laut der Reihenfolge, die wir hier haben. Wir müssen in den Nahen Osten.«
Mordfall: Ludvig Goldberg
Dieses Mal setzte Niels sich auf den Boden und breitete das gesamte Material über Ludvig Goldberg wie Puzzlestücke vor sich aus. Zwölf textreiche Stapel, die allesamt ein Bild vom Leben und Sterben des Ludvig Goldberg zeichneten.
»Ich glaube, so ist es einfacher.« Niels betrachtete die Ausdrucke.
»Was haben wir?«, fragte Hannah.
»Alles. So sieht es jedenfalls aus. Nachrufe. Tagebuchauszüge. Interviews. Etwas, das wie ein Gedicht aussieht. Aber vieles ist auf Hebräisch. Er sieht ziemlich seltsam aus.« Niels zeigte ihr ein Bild von Ludvig Goldberg. Dunkle, sorgenvolle Augen, eine intellektuelle Brille und ein schmales, feines Gesicht.
»Was ist das?« Hannah zeigte auf ein verwischtes Blatt aus dem Fax.
»IDF. Israel Defense Force. Militärdokumente, glaube ich. Vermutlich war er im Gefängnis.«
»Er sieht nicht gerade wie ein Soldat aus. Wohin soll ich die Nadel setzen?«
»Ein Kerem.«
»Wo ist das?«
»Ein Vorort von Jerusalem.«
Hannah blickte auf ihn herab. Überrascht oder beeindruckt.
»Sind Sie viel gereist?«
»Ein bisschen. In der Fantasie.«
Sie lächelte, aber er bemerkte das nicht. Er las aus einem Polizeibericht vor: »Ludvig Goldberg wurde am 26. Juni tot aufgefunden. Er lag in einem …« Niels unterbrach sich und schob sich auf Knien zu einem anderen Teil des Faxes vor. »Lassen Sie uns hier anfangen. Der Nachruf zuerst.«
»Aus einer Zeitung?«
Niels betrachtete die Seite. »Shevah Mofet-Gymnasium in Tel Aviv. Dort hat er als Lehrer gearbeitet. Verfasst in ziemlich schlechtem Englisch.«
»Wenn der Italiener es nicht selbst übersetzt hat«, schlug Hannah vor. »Oder die Google-Übersetzung genutzt hat. Da kommt manchmal ziemlicher Mist raus.«
»Vielleicht. Er ist 1968 geboren und in dem Kibbuz Lehavot Haviva in der Nähe der Stadt Hadera aufgewachsen. Seine Familie stammte aus der Ukraine. Die Mutter aus …« Niels gab es auf, laut vorzulesen. Es folgten Auflistungen der Herkunft seiner Eltern.
»Generationenromane sind im Nahen Osten sehr populär«, sagte Hannah und fügte hinzu: »Nehmen Sie nur die Bibel.«
Niels las eine andere Passage des Faxes. Den verwischten, beinahe unleserlichen Teil.
»Das ist wirklich ein Militärbericht. Verdacht auf … Homosexualität.« Niels blickte auf. »Das steht hier wirklich. Ohne jeden Kommentar. Vermutlich hat er gegen die militärischen Regeln verstoßen und deshalb im Gefängnis gesessen.«
»Wie verstoßen?«
»Das finde ich hier nicht. Aber er war ein Jahr im Militärgefängnis, eine Kleinigkeit kann es also nicht gewesen sein. Hier ist auch ein Auszug aus einer Chronik der Jerusalem Post von 1988, in der Ariel Sharon über ihn sagt …«
» Der Ariel Sharon?«
»Das nehme ich an. Ariel Sharon sagt über Goldberg, er sei ›everything this country doesn’t need‹.«
»Dann muss sein Verbrechen ja ziemliches Aufsehen erregt haben.«
Niels nickte.
»Was steht da über seinen Tod? Gibt es einen Obduktionsbericht?«
Niels suchte.
»Nein, aber hier ist noch etwas anderes«, sagte er. »Ein Auszug aus einer Rede, die ein gewisser Talal Amar am 7. Januar in der Birzeit University in Ramallah gehalten hat und die später im Time Magazine abgedruckt worden ist.«
»Talal Amar? Wer ist das?«
Niels zuckte
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