Die Auserwählten
mit den Schultern. »Er sagte: ›In the Middle East you never know what the future will bring, but after standing next to mister Rabin and mister Arafat while they shook hands in front of The White House, I’m quite optimistic. In fact my hope for the future was already born back in 1988 during the Intifada when a young Israeli soldier suddenly opposed orders and released me and my brother from an Israeli detention camp and thereby saved us from years in prison. I will never forget the look in the soldier’s eyes while he released us. Until that day all Israelis were monsters to me. But from this moment I knew they are humans just like me.‹«
»Rabin und Arafat«, sagte Hannah. »Der redet von dem Friedensvertrag. Was hat Goldberg damit zu tun?«
»Oder was hat Talal Amar damit zu tun?«
»Vermutlich eine ganze Menge. Sonst wäre er sicher nicht im Time Magazine interviewt worden. Und sonst hätte er auch nicht vor dem Weißen Haus gestanden, als das Abkommen unterzeichnet wurde. Er muss einer der palästinensischen Unterhändler gewesen sein.«
»Hier steht etwas darüber, wie Goldberg gestorben ist.« Niels las sich das Papier erst einmal durch. »›Unknown source‹. Das steht hier wirklich. Ich übersetze, so gut ich kann: ›In den Tagen vor seinem Tod hielt Goldberg sich in Ein Kerem auf, wo er das Künstlerpaar Sami und Leah Lehaim besuchte. Goldberg wirkte angeschlagen. Er klagte über Schmerzen in Rücken und Lende und wirkte laut Leah paranoid. Als würde er verfolgt. Am Abend des 26. Juni ging Goldberg irgendwann nach draußen, um eine Zigarette zu rauchen. Als er nicht zurückkam, verließ Sami Lehaim das Haus, um ihn zu suchen. Goldberg lag auf dem Schotter vor dem Haus. Er war tot.‹«
»Steht da etwas über Zeichen auf seinem Rücken?«
Niels suchte. »Nicht, soweit ich sehen kann. Eine Todesursache wird auch nicht genannt, aber sein Tod wird als Mord bezeichnet.«
»Warum das?«
Niels zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hatte er Feinde.«
»Bestimmt hat Sharon ihn umgebracht.« Sie lächelte. »Nach den Geschehnissen 1988.«
»1988.« Niels überlegte laut. »Was, wenn der junge israelische Soldat, von dem Talal Amar gesprochen hat …«
»Ludvig Goldberg war.«
Niels nickte. Einen Augenblick lang – vielleicht zum ersten Mal, seit er gekommen war – sahen sie sich richtig in die Augen.
Hannah sagte: »Dann hat der Italiener deshalb die Auszüge von Amars Rede mitgeschickt.«
Niels schwieg.
29.
29.
Das Geländer der Veranda war von einer dünnen Schicht Reif bedeckt, und Niels’ Atem hing wie Wölkchen in der kalten Luft. Er musterte Hannah durch das Fenster. Sie saß über die Karte gebeugt am Tisch. Ihr Profil hatte etwas Attraktives. Sie war nur wenige Meter von ihm entfernt, schien aber trotzdem in einer ganz anderen Welt zu sein. Ihr Blick klebte an den zwölf Nadeln, die aus der Karte ragten. Zwölf kleine Punkte. Niels erinnerte sich, worüber sie gerade gesprochen hatten: Für jede Nadel gab es eine Sarah Johnsson oder einen Ludvig Goldberg. Eine Geschichte. Ein Schicksal. Freuden, Sorgen, Vertraute, Bekannte und Familie. Jede Nadel war ein Leben. Mit einem Anfang, einem Mittelteil und einem plötzlichen, brutalen Ende.
Eine Eiderente landete kurz auf dem Wasser, schwamm eine Kurve und nahm Kurs Richtung Süden. Weg aus dem winterkalten Skandinavien. Niels sah ihr neidisch nach. Er war hier gefangen, war Insasse eines riesengroßen Gefängnisses. Welcher psychische Defekt war sein Wärter? Angst? Trauer? Noch einmal warf er einen Blick zu Hannah. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er im Begriff war, eine Antwort zu finden. Er beobachtete, wie sie sich an der alten Zigarette eine neue anzündete, ohne den Blick von der Karte zu nehmen.
Seine Finger waren bereits starr vor Kälte, als er das Telefon aus der Tasche holte. Anni hatte ihm eine Nachricht geschickt. Sie wollte wissen, ob Niels sich an einem Geschenk für Susanne im Archiv beteiligen wollte. Sie wurde am Donnerstag fünfzig. Sie schwankten noch zwischen einem Ruder-Hometrainer oder einem Wellness-Aufenthalt in Hamburg.
Unter dem Namen »Meine Geliebte« hatte er Kathrines Nummer gespeichert. Er rief sie an.
»You have called Kathrine, DBB architects.« Wie oft er diese Nachricht schon gehört hatte? Sicher tausendmal. Wenn nicht noch öfter. Trotzdem hörte er bis zum Ende zu. »I am unable to take the phone right now, but I would be very pleased, if you could leave me a message.« Zum Schluss
Weitere Kostenlose Bücher