Die Ausgelieferten
23. Januar nahm E.H. an der Räumung des Rinkaby-Lagers teil, die keine Mühe bereitete. Am 25. wurde das Lager von Gälltofta geräumt, in dem sich die Mehrheit der Balten befand. Es ging alles glatt. Ein lettischer Leutnant namens Plume stach sich mit einem Dolch in den Bauch und blutete stark, aber man brachte ihn sofort ins Lazarett von Kristianstad, wo er operiert und gerettet wurde. Oberstleutnant Gailitis wurde von heftiger Übelkeit befallen; man glaubte, er hätte Gift geschluckt und pumpte ihm den Magen leer. Danach konnte er zusammen mit den anderen ausgeliefert werden. Weitere Zwischenfälle gab es bei der Räumung des Gälltofta-Lagers nicht.
Die andere Perspektive.
Er war erst sechzehn, als er zur deutschen Luftabwehr in Lettland eingezogen wurde. Er war der jüngste Internierte des Lagers, und am Morgen des 25., an dem die Auslieferung durchgeführt wurde, schrieb er einen letzten Brief. » Ich habe nur noch einige Minuten in diesem schwedischen Konzentrationslager«, schrieb er. »Du kannst Dir sicher nur schwer vorstellen, wie es jetzt hier aussieht. Es ist alles so lächerlich. Diese bedauernswerten schwedischen Polizisten stürmen ins Lager, halten uns einen Zettel unter die Nase und befehlen uns, uns anzuziehen: sie versuchen offensichtlich, uns Angst einzujagen. Es ist höchst lächerlich. Habe keine Zeit mehr, wir fahren jetzt. Gruß.«
Der Brief ist unterzeichnet: Alexander Austrums, »Kriegsferbrächer«.
Porträt von Wachposten 2: dem schwedischen Polizeibeamten J. Interview im Juli 1967.
Über die Räumung Gälltoftas. J. erinnert sich nicht sehr gut an diese Räumungsaktion. Die Internierten hätten alle eine gute Selbstbeherrschung gezeigt. Es sei alles ausgezeichnet organisiert gewesen, keiner hätte einen Grund zur Klage gehabt. Außerdem seien sie reichlich verpflegt worden. J. bezeichnete diese Räumung als einen organisatorischen Erfolg.
Ein Detailproblem wird gelöst: über die Organisation einer durch die Umstände bedingten Rast. Solche Pausen gab es zweimal. Einmal bei der Fahrt von Gälltofta nach Falsterbohus, wo man gezwungen war zu übernachten, und einmal bei der Fahrt von Falsterbohus nach Trelleborg. Diese technische Rast bedeutete, dass die Internierten den Bus verlassen durften, um zu pinkeln. Dabei wurde folgendermaßen verfahren. Der Bus hielt an, und zwei Polizisten stiegen aus. Anschließend wurde je zwei Internierten erlaubt, den Bus zu verlassen, aber mehr als zwei durften sich nicht zur gleichen Zeit außerhalb des Busses befinden. Man behielt die Internierten genau im Auge, und es war ihnen nicht erlaubt, die Straße zu verlassen. Sie standen also am Straßenrand und pinkelten in den Graben. Während dieser Pausen gab es keine Fluchtversuche.
Ein organisatorischer Engpass. Es war etwas unglücklich, dass in Trelleborg Wartezeiten in Kauf genommen werden mussten. Es kamen nämlich viele Busse gleichzeitig an, was man zwar als unglücklich, aber nicht als ernsten Fehler in der Organisation bezeichnen kann. J.s Bus gehörte zu einem der letzten in dieser Schlange. Die Internierten saßen, wenn J. sich recht erinnert, an den Seitenwänden des Busses auf langen Bänken. Kurz vor dem Aussteigen erhoben die Balten sich zu einem gemeinsamen Gebet. Dabei trat das Unglück ein: ein lettischer Leutnant verübte Selbstmord. Es ist möglich, dass dieser Zwischenfall bei etwas kürzeren Wartezeiten hätte vermieden werden können, aber J. will der Organisationsleitung keinen Vorwurf machen. Der Internierte verletzte sich tödlich mit einem Messer. Man trug ihn hinaus. J. saß hinten im Bus und konnte also nicht genau sehen, was vorn vor sich ging. Als J. hinzukam, war es schon zu spät. Der Lette blutete stark. Als man die Wunde zuhielt, strömte das Blut aus dem Mund.
Über Auffassungen. Es gab natürlich geteilte Meinungen über diese Auslieferung. Verschiedene Auffassungen. Wir Polizisten, die wir die Schmutzarbeit machen mussten, nachdem das Militär mit seiner Aufgabe nicht fertiggeworden war, hatten allerdings keine ausgeprägte Meinung. Als wir nach Rinkaby und Gälltofta kamen, haben wir mit vielen der alten Wachposten gesprochen, aber sie schienen zu übertreiben. Obwohl in den Lagern Ruhe herrschte, haben wir die Zäune verstärkt. Von den alten Wachposten werden einige wohl eine eigene Meinung über die Auslieferung gehabt haben. Und die Internierten selbst, nun, man kann sich denken, wie sie über alles dachten.
Über Vabulis’ Selbstmord. J. war
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