Die Ausgelieferten
natürlich bestürzt.
Um 12.15 Uhr schnitt der lettische Soldat Valentin Silamikelis seine Handgelenke an einer Seitenscheibe des Busses auf: alles geschah auf dem Kai in Trelleborg. Schwedische Polizisten trugen den wild schreienden Mann zu einem Verbandsplatz, wo man feststellte, dass seine Verletzungen nur leicht waren und dass er mit den anderen ausgeliefert werden konnte. Nach einer halben Stunde trug man ihn auf einer Bahre aufs Schiff. Als er an Bord war, begann er laut zu schreien. Er riss sich von seinen Bewachern los, und es wäre ihm fast gelungen, sich über die Reling auf die Kaimauer zu stürzen. Es gelang jedoch, ihn zu überwältigen. Er wurde zu den anderen unter Deck gebracht, wobei er immer noch laut schrie. Der Zwischenfall machte auf die anwesenden Schweden einen äußerst peinlichen Eindruck.
Ein anwesender schwedischer Inspekteur berichtete jedoch, dass Silamikelis eine halbe Stunde später wieder völlig ruhig war. Er hätte auf einer Pritsche gesessen und einen ausgeglichenen Eindruck gemacht.
Dies war der eine der beiden peinlichen Zwischenfälle. Der zweite ereignete sich um 13.34 Uhr, als der lettische Leutnant Peteris Vabulis sich mit einem Messer den Hals aufschnitt und auf der Stelle starb. Im übrigen verlief auch die zweite Phase der Einschiffung ruhig.
Vabulis hatte in Bus Nr. 5 gesessen. Man hatte um 9 Uhr die Fahrt von Gälltofta angetreten und war um 12.20 Uhr in Trelleborg angekommen. Um 13.30 Uhr fuhr Bus Nr. 5 bei der Absperrung vor. In ihm saßen zwölf Internierte, neun Polizisten sowie ein Fahrer und ein Beifahrer. Der Befehlshaber im Bus, Hauptwachtmeister Hultsten, hatte unter den Internierten keine besondere Unruhe bemerkt, obwohl sie ihm etwas deprimiert erschienen waren. Als Bus Nr. 5 vorfuhr, damit die Internierten ausgeladen werden konnten, stand Hultsten neben der linken Vordertür. Als der Bus anhielt, hörte Hultsten Rufe nach einem Sanitäter und einem Krankenwagen. Er rannte sofort nach hinten und entdeckte, dass einer der Internierten sich den Hals aufgeschnitten hatte. Der Mann war noch bei Bewusstsein.
Am Morgen in Gälltofta hatte man keine Leibesvisitationen vorgenommen, was übrigens auch nicht befohlen worden war. Beim polizeilichen Verhör erklärte Hultsten, es sei ihm unbegreiflich, wie es Vabulis gelungen sei, ein Messer in den Bus zu schmuggeln. Er meinte aber, dass man keinem der diensttuenden Polizisten einen Vorwurf machen könne.
Dies alles wird in dem polizeilichen Protokoll ausführlich beschrieben, alles.
Polizeiwachtmeister Sven Gustav Ivan Alneborg hatte Vabulis schräg gegenüber gesessen, und als der Bus in Trelleborg anhielt, hatten sich sämtliche Internierten erhoben. In diesem Moment hatte Alneborg gesehen, wie Vabulis das Blut aus dem Hals strömte; dieser hatte sich ebenfalls erhoben und gegen die Buswand gelehnt. Es hatte ausgesehen, als würde Vabulis sich irgendeinen Gegenstand gegen die Brust drücken, es war aber unmöglich gewesen zu erkennen, was Vabulis in der Hand hielt. Alneborg hatte sich jedoch sofort auf Vabulis gestürzt und ihn auf die Sitzbank niedergedrückt. Danach hatte er Vabulis das Messer abnehmen können.
Uniformmantel und -hose Alneborgs waren über und über mit Blut beschmiert worden.
Vabulis’ Tat kam für alle völlig überraschend, nichts hatte auf seine Verzweiflung hingedeutet. Kurz bevor die Kolonne auf dem Weg nach Trelleborg an Malmö vorbeigefahren war, hatte ein neben Vabulis sitzender Internierter seine Geldbörse aus der Tasche gezogen und einen kleinen Gegenstand herausgenommen. Da es ausgesehen hatte, als wollte der Internierte etwas verbergen, hatte einer der Polizisten sofort die Hand des Mannes ergriffen und dabei entdeckt, dass dieser eine in Papier gewickelte Rasierklinge hatte verbergen wollen. Der Polizist hatte darauf die Rasierklinge an sich genommen. Hinterher hatte der Internierte etwas verstört ausgesehen. Vabulis dagegen hatte man nichts ansehen können, er hatte still und grüblerisch dagesessen und apathisch vor sich hingestarrt.
Alle wichtigen Tatsachen finden sich in diesem polizeilichen Protokoll. Oder fehlt etwas?
Bei der Untersuchung des Toten wurde festgestellt, dass die Schnittwunde an seinem Hals etwa fünf Zentimeter lang und sehr tief war. Vabulis hatte unter seiner Unterwäsche einen Gürtel getragen, an dem eine Dolchscheide hing. Die Scheide war mit einem Taschentuch umwickelt, vermutlich, um ein Scheuern auf der Haut zu vermeiden. Der untersuchende Arzt
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